Erzähler, Kandaules, Rhodope, Gyges, Lesbia, Hero, Thoas, Karna, Volk
Erzähler #1:
Gyges und sein Ring - eine Tragödie in fünf Akten von Friedrich Hebbel. Dies ist eine LibriVox Aufnahme. Alle LibriVox Aufnahmen sind lizenzfrei und in öffentlichem Besitz. Weitere Informationen und Hinweise zur Beteiligung an diesem Projekt gibt es bei librivox PUNKT org.
Gyges und sein Ring
Erzähler, gelesen von ...
Kandaules, König von Lydien gelesen von ...
Rhodope, seine Gemahlin gelesen von ...
Gyges, ein Grieche gelesen von ...
Lesbia und Hero, Sclavinnen gelesen von ... und ...
Thoas und Karna, Sclaven gelesen von ... und ...
Volk gelesen von ...
Erzähler #2:
Einen Regenbogen, der, minder
grell, als die Sonne,
Strahlt in gedämpftem Licht, spannte
ich über das Bild;
Aber er sollte nur funkeln und nimmer als
Brücke dem Schicksal
Dienen, denn dieses entsteigt einzig
der menschlichen Brust.
Die Handlung ist vorgeschichtlich und mythisch; sie ereignet sich innerhalb eines Zeitraums von zweimal vier und zwanzig Stunden.
Erzähler #3:
Erster Akt
Halle.
Kandaules und Gyges treten auf. Kandaules schnallt sich das Schwert um, Thoas folgt mit dem Diadem.
Kandaules
#4:
Heut'
sollst du seh'n, was Lydien vermag! –
Ich weiß, Ihr
Griechen, wenn auch unterwürfig,
Weil Ihr nicht anders könnt,
tragt knirschend nur
Das alte Joch und spottet eurer Herrn.
Auch
wird nicht leicht was auf der Welt erfunden,
Das Ihr nicht gleich
verbessert: wär's auch nur
Der Kranz, den ihr hinzufügt,
einerlei,
Ihr drückt ihn d'rauf und habt das Ding gemacht!
Erzähler #5:
Thoas (reicht ihm das Diadem).
Kandaules
#6:
Das
neue Diadem! Was soll mir dieß?
Hast Du Dich auch vielleicht
im Schwert vergriffen?
Ja, beim Heracles, dessen Fest wir
feiern!
Ei, Thoas, wirst Du kindisch vor der Zeit?
Thoas
#7:
Ich
dachte –
Kandaules #8: Was?
Thoas
#9: Seit
fünf Jahrhunderten
Erschien kein König anders bei den
Spielen,
Die Dein gewalt'ger Ahn gestiftet hat,
Und als Du es
das letzte Mal versuchtest,
Die alten Heiligtümer zu
verdrängen,
Da stand das Volk entsetzt und staunend da
Und
murrte, wie noch nie!
Kandaules
#10: Nun
meinst Du denn,
Ich hätt's mir merken und mich bessern
sollen,
Nicht wahr?
Thoas
#11: O
Herr, nicht ohne einen Schauder
Berühre ich dies Diadem, und
nie
Hab' ich dies Schwert am Griff noch angefaßt,
Das
alle Heracliden einmal schwangen.
Doch Deinen neuen Schmuck
betracht' ich ganz,
Wie jedes and're Ding, das glänzt und
schimmert,
Und das man hat, wenn man's bezahlen kann.
Nicht an
Hephästos brauche ich dabei
Zu denken, der dem göttlichen
Achill
Die Waffen schmiedete, und in dem Feuer,
Worin er Zeus
die Donnerkeile stählt,
Auch nicht an Thetis, die durch ihre
Töchter
Ihm Perlen und Korallen fischen ließ,
Damit
es an der Zierde nicht gebreche:
Ich kenn' den Mann ja, der das
Schwert geliefert,
Und Jenen, der das Diadem gefügt!
Kandaules
#12:
Nun,
Gyges?
Thoas
#13: Herr,
die Treue spricht aus mir,
Bin ich zu kühn, so bin ich's
Deinetwegen!
Und glaube mir: die vielen Tausende,
Die hier
zusammenströmen, wenn sie auch
In fein'rer Wolle geh'n und
leck'rer essen,
Sind ganz so törigt oder fromm, wie ich.
Dein
Haupt und dieser Reif, das sind für sie,
Trau' deinem Knecht,
zwei Hälften Eines Ganzen,
Und eben so Dein Arm und dieses
Schwert.
Kandaules
#14:
Das
denken alle?
Thoas #15: Ja, bei meinem Kopf!
Kandaules
#16:
So
darf's nicht länger bleiben! Nimm denn hin
Und thu, was ich
gebot.
Erzähler #17:
Thoas (mit dem alten Schmuck ab).
Gyges #18: Du tat'st ihm weh'!
Kandaules
#19:
Ich
weiß, doch sprich: wie hätt' ich's ändern
können?
Wahr ist, was er gesagt! Hier gilt der König
Nur
seiner Krone wegen und die Krone
Des Rostes wegen. Weh' dem, der
sie scheuert,
Je blanker, um so leichter an Gewicht.
Allein,
was hilft's, wenn man sich nun einmal
So weit vergaß, weil
man's nicht mehr ertrug,
Bloß durch den angestammten Schmuck
zu glänzen,
Zu gelten, wie geprägte Münzen
gelten,
Die Keiner wägt, und mit den Statuen,
Die in
geweihten Tempelnischen steh'n,
Die schnöde Unverletzlichkeit
zu theilen:
Man kann doch nicht zurück?
Erzähler #20:
Thoas (kömmt mit dem neuen Schmuck).
Kandaules #21: So ist es recht!
Erzähler #22:
(Er setzt das Diadem auf.)
Kandaules #23:
Das
sitzt! Und alles, was mein Königreich
Im Schacht der Berge
und im Grund des Meeres
An Perlen und Kleinodien nur
liefert,
Nicht mehr, noch weniger, ist hier vereint:
Der
Edelstein, den man bei uns nicht findet,
Und wär' er noch so
schön, ist streng verbannt,
Doch freilich ließ ich auch
für den noch Platz,
Den man in hundert Jahren erst entdeckt.
–
Begreifst Du nun?
Erzähler #24:
(Zu Gyges.)
Kandaules
#25: Das
and're eignet sich
Für einen Riesenkopf, wie Eure Bildner
Ihn
meinem Ahnherrn wohl zu geben pflegen,
Wenn er im Löwenfell
mit plumper Keule
Von eines Brunnens moos'gem Rand herab
Die
Kinder Euch erschrecken helfen soll.
Erzähler #26:
(Er gürtet sich das Schwert um.)
Kandaules #27:
Dies
Schwert ist etwas leichter, wie das alte,
Doch dafür kann
man's schwingen, wenn man muß,
Und nicht bloß draußen,
unterm freien Himmel,
Wo die Giganten sich mit Felsen werfen,
Erzähler #28:
(Er zieht's und schwingt's.)
Kandaules #29:
Nein,
auch in menschlich engem Raum, wie hier!
D'rum, Thoas, spar' Dir
ja die dritte Rede,
Die zweite hört' ich heut'!
Thoas
#30: Vergib
mir, Herr!
Doch weißt Du: nicht die jungen Glieder
sind's,
In denen sich ein Witt'rungswechsel meldet,
Die alten
Knochen spüren ihn zuerst!
Erzähler #31:
(Ab.)
Gyges
#32:
Er
geht betrübt.
Kandaules
#33: Gewiß,
er sieht's nicht gern,
Daß jetzt der nächste Donnerkeil
mich trifft,
Und das steht fest für ihn, es wäre
denn,
Daß mich die Erde früher schon verschlänge,
Wenn
nicht der Minotaurus gar erscheint! –
So sind sie, denke
darum aber nicht
Gering von ihnen! Nun, noch heute wirst Du
Sie
spielen seh'n!
Gyges #34: Und wünsche, mitzuspielen.
Kandaules
#35:
Wie,
Gyges?
Gyges #36: Herr, ich bitte Dich darum
Kandaules
#37:
Nein,
nein, du sollst an meiner Seite sitzen,
Damit ein Jeder sieht, wie
ich Dich ehre,
Und wie ich will, daß man Dich ehren soll.
Gyges
#38:
Wenn
du mich ehrst, so schlägst Du mir's nicht ab.
Kandaules
#39:
Du
weißt nicht, was Du thust! Kennst du die Lyder?
Ihr Griechen
seid ein kluges Volk, Ihr laßt
Die Andern alle spinnen und
Ihr webt.
Das giebt ein Netz, wovon kein einz'ger Faden
Euch
selbst gehört, und das doch Euer ist!
Wie leicht wär's
zugezogen und wie rasch
Die ganze Welt gefangen, wenn der Arm
Des
Fischers nur ein wenig stärker wäre,
Der es regiren
soll. Da aber fehlt's!
Ihr könnt durch keine Kunst die
Nervenstränge
Uns aus dem Leibe haspeln, darum stellen
Wir
uns viel blinder, als wir wirklich sind,
Und geh'n zu uns'rem
eig'nen Spaß hinein:
Ein kleiner Ruck macht uns ja wieder
frei.
Gyges
#40:
Wir
feiern diese Spiele auch.
Kandaules
#41: Ja,
ja!
So unter Euch! Da ringt der Dorier
Mit dem Ionier, und
mischt am Ende
Gar der Böotier sich mit hinein,
So glaubt
Ihr, Ares selber schaue zu
Und merke sich mit Schaudern jeden
Streich.
Gyges, und wenn Du alle Preise dort
Errungen hättest,
warnen müßt' ich Dich,
Hier auch nur um den letzten
mitzukämpfen.
Denn wild und blutig ging es immer her,
Doch
würbest Du, der Grieche und mein Günstling,
Auch nur um
einen Zweig der Silberpappel,
Wie man sie heut' zu Tausenden
verstreut:
Du kämst mit Deinem Leben nicht davon.
Gyges
#42:
Nun
habe ich Dein Ja, du kannst mir's jetzt
Nicht länger
vorenthalten!
Kandaules
#43: Nimmst
Du's so?
Dann muß ich schweigen!
Gyges
#44: Herr,
ich kam nicht bloß,
Zu bitten!
Erzähler #45:
(Er zieht einen Ring hervor.)
Gyges
#46: Nimm!
Es ist ein Königsring!
Du siehst ihn an, du findest nichts an
ihm,
Du staunst, daß ich ihn Dir zu bieten wage,
Du wirst
ihn nehmen, wie vom Kind die Blume,
Nur um die arme Einfalt nicht
zu kränken,
Die Dir sie brach, nicht, weil sie Dir
gefällt.
Unscheinbar ist er, das ist wahr, und schlicht,
Und
dennoch kannst Du für Dein Königreich
Ihn Dir nicht
kaufen, noch ihn mit Gewalt
Trotz aller deiner Macht, dem Träger
rauben,
Wenn er ihn Dir nicht willig reichen will.
Trägst
du ihn so,
Erzähler #47:
(mit Zeichen und Gebärden)
Gyges
#48: daß
das Metall nach vorn
Zu sitzen kommt, so ist er bloß ein
Schmuck,
Vielleicht auch keiner, aber drehst Du ihn
So weit
herum, daß dieser kleine Stein,
Der dunkelrote, um sich
blitzen kann,
So bist Du plötzlich unsichtbar und
schreitest,
Wie Götter in der Wolke, durch die Welt.
Darum
verschmäh' ihn nicht, denn noch einmal:
Es ist ein
Königsring, und diesen Tag
Ersah ich längst, ihn Dir zu
übergeben,
Du bist der Einz'ge, der ihn tragen darf!
Kandaules
#49:
Von
unerhörten Dingen kam auch uns
Die Kunde zu, man sprach von
einem Weibe,
Medea hieß sie, welche Künste trieb,
Die
selbst den Mond herab zur Erde zogen,
Doch nie vernahm ich noch
von diesem Ring.
Woher denn hast du ihn?
Gyges
#50: Aus
einem Grabe,
Aus einem Grabe in Thessalien!
Kandaules
#51:
Du
hast ein Grab erbrochen und entweiht?
Gyges
#52:
Nein,
König, nein! Erbrochen fand ich's vor!
Ich kroch nur bloß
hinein, um mich vor Räubern
Zu bergen, die in großer
Ueberzahl
Mir auf der Fährte waren und mich hetzten,
Als
ich in abenteuerlichem Triebe
Das öde Waldgebirge jüngst
durchstrich.
Die Aschenkrüge waren umgestoßen,
Die
Scherben lagen traurig durcheinander,
Und in dem falben Strahl der
Abendsonne,
Der durch die Ritzen des Gemäuers drang,
Sah
ich ein Wölkchen blassen Staubes schweben,
Das vor mir
aufstieg, als der letzte Rest
Der Todten, und so seltsam mich
bewegte,
Daß ich, um meines Gleichen, meine
Väter
Vielleicht, nicht unwillkürlich einzuathmen,
Den
Odem lange anhielt in der Brust.
Kandaules
#53:
Nun?
Und die Räuber?
Gyges
#54: Hatten
meine Spur
Verloren, wie's mir schien, denn fern und
ferner
Verhallten ihre Stimmen, und ich glaubte
Mich schon
gesichert, wenn ich auch noch nicht
Mein dämm'riges Asyl
verließ. Als ich
Nun so auf meinen Knieen kauerte,
Erblickte
ich auf einmal diesen Ring,
Der aus dem wüsten Trümmerhaufen
mir
Mit seinem Stein, wie ein Lebendiges,
Fast an ein scharfes
Schlangen-Auge mahnend,
Entgegenfunkelte. Ich hob ihn auf,
Ich
blies die Asche von ihm ab, ich sprach:
»Wer trug dich einst
am längst zerstäubten Finger?«
Und, um zu sehen,
ob's ein Mann gewesen,
Steckt' ich ihn an. Doch das war kaum
gescheh'n,
So schrie man draußen: »Halt! dort muß
er sein!
Siehst du das Grab? Heran, heran, Gefährten,
Wir
haben ihn!« und rasch erschien der Trupp.
Ich aber, um nicht
wehrlos, wie ein Thier,
Das man in eine Höhle trieb,
geschlachtet
Zu werden, sprang hervor und stürzte
ihnen
Entgegen, hoch in meiner Hand das Schwert.
Die Sonne war
dem Untergange nah'
Und strahlte, wie die Kerze, welche
bald
Erlöschen soll, noch einmal doppelt hell.
Doch sie,
als wär' für sie allein die Nacht
Schon eingebrochen,
stürmten, grimmig fluchend,
An mir vorbei und reihten sich
um's Grab.
Das ward nun streng durchsucht, und als sie mich
Nicht
fanden, höhnten sie: »Was tut's, er trug
Wohl auch
Nichts bei sich, als das trotz'ge Auge,
Das uns mit seinem kecken
Blick so reizte,
Und dieses bläs't ihm schon ein And'rer
aus!«
Nun abermals, doch langsam und verdrießlich,
Ja,
spähend, und mir selbst ins Antlitz stierend,
An mir vorbei
und wieder nicht geseh'n!
Kandaules
#55:
Da
dachtest Du –
Gyges
#56: Nicht
an den Ring! Noch nicht!
Ich glaubte, daß ein Gott mich
durch ein Wunder
Gerettet, auf die Kniee warf's mich nieder,
Und
zu dem Unsichtbaren sprach ich so:
Ich weiß nicht, wer Du
bist, und wenn Du
mir
Dein Antlitz nicht enthüllst, so kann ich Dir
Das
Thier nicht opfern, das Dir heilig ist,
Allein zum Zeichen, daß
ich dankbar bin
Und nicht des Muths ermang'le, bring' ich Dir
Den
wildesten von diesen Räubern dar,
Dies schwör' ich hier,
wie schwer es immer sei.
Nun eilt' ich ihnen nach und mischte
mich
In ihren Haufen, und ein Grauen faßte
Mich vor mir
selbst, wie sie mich nicht allein
Gar nicht bemerkten, sondern
durch mich hin,
Als wär' ich bloße Luft, zusammen
sprachen,
Ja selbst das Brot sich reichten und den Wein.
Mein
Blick umflorte sich und schweifend fiel
Er auf den Stein des
Ringes, der mir roth
Und grell von meiner Hand entgegen
sprühte
Und rastlos quellend, wallend, Perlen treibend
Und
sie zerblasend, einem Auge glich,
Das ewig bricht in Blut, was
ewig raucht.
Ich drehte ihn, aus Notwehr möcht' ich
sagen,
Aus Angst, denn alle diese Perlen blitzten,
Als wären's
Sterne, und mir ward zu Muth,
Als schaut' ich in den ew'gen Born
des Lichts
Unmittelbar hinein, und würde blind
Vom
Übermaß, wie von der Harmonie
Der Sphären, wie es
heißt, ein Jeder taub.
Da aber fühlt' ich kräftig
mich gepackt,
Und: »Was ist das? Ei, wer hielt ihn
versteckt?,
Der Spaß ist gut!« erklang's um mich
herum.
Zehn Fäuste griffen nun mir nach der Kehle,
Zehn
and're rissen am Gewande mir,
Und, blieb die plumpste für den
Ring nicht übrig,
So war ein schmählich Ende mir
gewiß.
Doch plötzlich hieß es: »Ei, der ist
nicht arm,
Das ist ein guter Fang, seht, blankes Gold,
Sogar
ein Edelstein, nur her damit!«
Allein fast in demselben
Odemzug
Erscholl's: »Ein Gott! Ein Gott ist unter uns!«
Und
alle lagen mir zu Füßen da.
Kandaules
#57:
Sie
hatten, wie sie an dem Ring Dir zerrten,
Ihn wieder umgedreht und
schauderten,
Als Du verschwandest, wie ein Wolkenbild.
Gyges
#58:
So
muß es sein. Ich aber drehte ihn,
Jetzt endlich eingeweiht
in sein Geheimnis,
Stolz und verwegen noch einmal und rief:
Ein
Gott, jawohl, und Jeder büßt mir nun!
Dann drang ich
auf sie ein, und sie, entsetzt,
Als hätte ich den Donner in
den Händen
Und tausend neue Tode mir zur Seite,
Behielten
kaum zur Flucht noch Muth und Kraft.
Doch ich verfolgte sie, als
müßte ich
Für die Erinnyen den Dienst
versehen,
Und nicht ein Einziger kam mir davon!
Dann wollt' ich
mit dem Ring zurück zum Grabe,
Allein obgleich ich mir mit
blut'gen Leichen
Den Weg bezeichnet hatte: nicht am Abend
Und
nicht des Morgens ließ es sich mehr finden,
Und wider meinen
Willen blieb er mein.
Kandaules
#59:
Das
ist ein Schatz, wie keiner!
Gyges
#60: Sagt'
ich's nicht?
Ein Königsring! Drum, König, nimm ihn hin!
Kandaules
#61:
Erst
nach dem Kampfe!
Gyges
#62: Herr,
ich trug ihn nie
Seit jenem Tag und trag' ihn niemals wieder!
Bist
du mit Holz so geizig? Keines Waldes
Bedarf es ja zu meinem
Scheiterhaufen,
Ein Baum genügt, und traue diesem Arm,
Er
wird dir auch wohl noch den Baum ersparen!
Kandaules
#63:
So
gib! Ich prüf' ihn!
Gyges #64: Und ich wappne mich!
Erzähler #65:
(Beide ab.)
Gemach der Königin.
Rhodope nebst ihren Dienerinnen, Lesbia und Hero darunter tritt auf.
Rhodope
#66:
Nun
freut Euch, liebe Mädchen, heute ist
Es Euch vergönnt!
So sehr ich's tadeln muß,
Wenn Ihr an andern Tagen auch nur
lauscht,
So hart ich meine munt're Hero gestern,
Als sie den
Baum erstieg, gescholten hätte,
Wenn nicht zu ihrer Strafe
gleich ein Zweig,
So leicht sie ist, mit ihr gebrochen wäre,
Weil
er zu schwach für so viel Neugier war –
Hero
#67:
O
Königin, wenn du's gesehen hast,
So weißt du auch, daß
ich den dichtesten
Von allen Bäumen unsers Gartens wählte.
Rhodope
#68:
Den
dichtesten? Kann sein! Doch ganz gewiß
Den, der am nächsten
an der Mauer stand.
Hero
#69:
Den
allerdichtesten! Ich kletterte
In eine wahre grüne Nacht
hinein!
Es war fast schauerlich, den gold'nen Tag
So hinter
sich zu lassen und im Dunkeln
Doch fort zu kriechen.
Rhodope #70: Warum tatst Du's denn?
Hero
#71:
Nicht,
weil ich dem Olymp um ein paar Fuß
Mich nähern wollte!
Nein, das überließ ich
Der Nachtigall, die mir zu
Häupten schlug.
Ich wollte – – Aber lache nicht!
Ich kann
Das Wiegen nicht vergessen, und ich wollte
Mich oben
etwas wiegen!
Rhodope #72: Weiter nichts?
Hero
#73:
Und
nebenbei, doch wirklich nebenbei,
Ganz nebenbei, ein wenig späh'n,
ich wüßte
Es gar zu gern, ob diesen unsern Garten,
Wie
uns der finst're Karna immer sagt,
Ein See umgibt.
Lesbia #74: Ein See!
Hero #75: Du weißt es besser!
Lesbia
#76:
Ei,
hast Du's hier noch jemals rauschen hören,
Und ist ein See so
ruhig, wie Du selbst?
Rhodope
#77:
Ich
will nicht weiter fragen, denn ich weiß,
Daß Du's
nicht wieder thust. Nie fiel ein Mädchen
So sanft, wie Du,
und nie erschrak es so!
Lesbia
#78:
Ja,
alle Glieder waren hin!
Hero
#79: Ich
wäre
Gar nicht gefallen, denn ein stärk'rer Zweig
War
nah' genug, der aber schaukelte
Ein Nest mit jungen Vögeln,
und ich wollte
Ihn nicht betreten, um die zarte Brut,
Die schon
die federlosen Flügel regte,
Nicht aufzuscheuchen!
Lesbia
#80: Dieses
also war's?
Sie flogen aber dennoch auf, du griffst
Zuletzt
gewiß noch zu, um Dich zu halten!
Rhodope
#81:
Neckt
Euch, so lang' ihr wollt, dieß ist der Tag,
An dem für
Euch das enge Haus sich öffnet,
Nun treibt es, wie Ihr mögt,
und seht Euch satt.
Hero
#82:
Und
Du?
Rhodope
#83: Schaut
nicht auf mich! Was Euch erlaubt,
Ist mir nur nicht verboten,
heute kann
Ich Euch nicht Muster und nicht Vorbild sein.
Hero
#84:
So
willst du abermals das Fest nicht seh'n?
Rhodope
#85:
Um
dich nicht in der Fröhlichkeit zu stören! –
Bei
uns ist das nicht Sitte, und mir wär's,
Als ob ich essen
sollte ohne Hunger
Und trinken ohne Durst. Auch scheint es
mir,
Daß uns're Weise besser ist, als Eure,
Denn niemals
kommt Ihr ohne Schauder heim
Von diesen Festen, die Euch erst so
locken,
Und das ist mir die Liebste, die den tiefsten
Empfindet
und zum zweiten Mal nicht geht.
Das soll für Euch kein Tadel
sein, o nein,
Es freut mich nur, daß meine Lesbia,
Die
unter Euch erwuchs, so fühlt, wie ich!
Lesbia
#86:
Wirst
du mir heut' vergeben – –
Rhodope
#87: Was
denn nur?
Was soll ich dir vergeben? Willst du mit?
Oh, hätt'
ich dieses Lob zurück! Sie schämt
Sich jetzt, die
Tochter ihres Volks zu sein,
Und hat's nicht Ursach'. Bin ich
selbst was And'res?
Geh, geh und sag' mir, wer der Sieger war!
Hero
#88:
Gewiß
wird auch der junge Gyges kämpfen,
Der diese schöne
Stimme hat.
Rhodope
#89: Du
kennst
Schon seine Stimme?
Hero
#90: Ja,
doch weiter nichts!
Heut' werden wir ihn seh'n,
und glaube mir,
Auch sie geht nur, weil er erscheint!
Lesbia
#91: Ich
kann
Noch immer bleiben und Dich Lügen strafen!
Hero
#92:
Du
thust es nicht!
Erzähler #93:
Kandaules (tritt rasch ein).
Kandaules
#94: Rhodope,
sei gegrüßt! –
Doch – Weißt du, wer
ich bin? Ein Hermenwächter,
Ein Grenzpfahlkönig, der die
Ellen freilich,
Doch nie die Schwerter mißt und Schuld d'ran
ist,
Daß die zwölf Thaten des Herakles nicht
Durch
vier und zwanzig and're, größere
Längst überboten
sind. Wenn Du's nicht glaubst,
So frage nur den grimmigen
Alkäos,
Du kennst ihn nicht? Ich auch seit heute erst!
Und
weißt Du, wie ich Menschen glücklich mache?
Ich
spreche: Jüngling komm, da ist ein Kern,
Den stecke in die
Erde und begieße
Den Fleck mit Wasser, thu es Tag für
Tag
Und sei gewiß, daß Du mit weißen Haaren
Für
Deine Mühe Kirschen essen wirst,
Ob süße oder
saure, siehst Du dann!
Als Währsmann stelle ich den Agron
Dir,
Den würd'gen Freund des würdigen Alkäos,
Ihm
völlig gleich, nur nicht so weiß im Bart.
Rhodope
#95:
Du
bist vergnügt!
Kandaules
#96: Wie
sollte ich's nicht sein?
Wenn auch Alkäos mir in off'nem
Aufstand
Entgegen treten will, sobald ich's wage,
Vor ihm so zu
erscheinen, wie vor Dir,
Ich meine mit dem neuen Diadem:
Agron
wird mich beschützen, und ich soll
Zum Dank mich nur
verpflichten, Du wirst staunen,
Wie mild er's mit mir vorhat, nie
den Putz
Mehr zu verändern und ein Schwert zu tragen,
Das
meine ganze Kraft durch's Zieh'n erschöpft.
Rhodope
#97:
Woher
denn weißt Du das?
Kandaules
#98: Durch
keinen Späher,
Noch weniger durch einen falschen Freund:
Von
ihnen selbst, durch ihren eig'nen Mund.
Rhodope
#99:
Du
spottest meiner Frage.
Kandaules
#100: Nein
doch, nein!
Ich sprech' im vollsten Ernst! Ich stand dabei,
Wie
sie, die Nägel in die Tische grabend,
Und mit gewetztem Zahn
die eig'ne Lippe,
Als wär' es fremdes, wildes Fleisch,
benagend,
Sich's schwuren, und sie halten es gewiß.
Es
gilt hier eine Art von Gottesurtheil,
Der Eine haut nach mir, der
And're wehrt,
Und Dike kann entscheiden, wenn sie mag.
Rhodope
#101:
So
hättest du gelauscht? Das glaub ich nicht.
Wenn ich wo bin,
wo man mich nicht erwartet,
So mach' ich ein Geräusch, damit
man's merkt
Und ja nicht spricht, was ich nicht hören
soll,
Und du – nein, nein, das thut ein König nicht!
Kandaules
#102:
Gewiß
nicht! – Doch, du kannst es nicht errathen!
Siehst Du den
Ring? Wie teuer hältst Du ihn?
Rhodope
#103:
Ich
weiß ja nicht, von wem er kommt.
Kandaules #104: Von Gyges!
Rhodope
#105:
Da
wird er Dir unschätzbar sein!
Kandaules
#106: Er
ist's!
Doch ahnst du nicht, warum. Vernimm's und
staune,
Unsichtbar macht er Jeden, der ihn trägt.
Rhodope
#107:
Unsichtbar?
Kandaules
#108: Eben
hab ich's selbst erprobt.
Nicht wieder klettern, Hero! Nur die
Vögel
Verstecken sich im Laube!
Rhodope #109: Lesbia!
Kandaules
#110:
Durch
alle Thüren schreit' ich hin, mich halten
Nicht Schloß
noch Riegel fern!
Rhodope #111: Wie fürchterlich.
Kandaules
#112:
Für
jeden Bösen, meinst Du.
Rhodope
#113: Nein
doch, nein!
Für jeden Guten noch viel mehr!
Erzähler #114:
(Zu Lesbia.)
Rhodope
#115: Kannst
Du
Noch ruhig athmen, wirst du nicht in Schaam
Verglüh'n,
nun Du dieß weißt? Herr, wirf ihn fort,
Hinunter in
den tiefsten Fluß! Wem mehr
Als Menschenkraft beschieden
ist, der wird
Als Halbgott gleich geboren! Gieb ihn mir!
Man
sagt bei uns, daß Dinge, die die Welt
Zertrümmern
können, hie und da auf Erden
Verborgen sind. Sie stammen aus
der Zeit,
Wo Gott und Mensch noch miteinander gingen
Und
Liebespfänder tauschten. Dieser Ring
Gehört dazu! Wer
weiß, an welche Hand
Ihn eine Göttin steckte, welchen
Bund
Er einst besiegeln mußte! Graus't Dich nicht,
Dir
ihre dunkle Gabe anzueignen
Und ihre Rache auf Dein Haupt zu
zieh'n?
Mich schaudert, wenn ich ihn nur seh'! So gib!
Kandaules
#116:
Um
Einen Preis! Wenn Du als Königin
Beim Feste heut' erscheinen
willst.
Rhodope
#117: Wie
kann ich!
Du holtest Dir von weit entleg'ner Grenze
Die stille
Braut, und wußtest, wie sie war.
Auch hat's Dich einst
beglückt, daß vor dem Deinen
Nur noch das Vaterauge auf
mir ruhte,
Und daß nach Dir mich keiner mehr erblickt.
Kandaules
#118:
Vergib!
Ich denke nur, der Edelstein,
Den man nicht zeigt –
Rhodope #119: Lockt keine Räuber an!
Kandaules
#120:
Genug!
Ich bin ja an dies Nein gewöhnt!
Bläs't auch der frische
Wind an allen Orten
Die Schleier weg: Du hältst den Deinen
fest.
Erzähler #121:
(Musik.)
Kandaules #122:
Der Zug! Da darf der König ja nicht fehlen.
Rhodope
#123:
Und
die Empörer? Heute thut's mir weh',
Daß ich nicht mit
Dir gehen darf.
Kandaules
#124: Hab'
Dank!
Doch ängstige Dich nicht. Es ist gesorgt.
Rhodope #125:
Gewiß?
Kandaules
#126: Gewiß!
Zwar nicht, weil ich mich fürchte,
Nur, weil ich strafen
müßte, und nicht mag.
Das Leben ist zu kurz, als daß
der Mensch
Sich d'rin den Tod auch nur verdienen könnte,
Darum
verhinge ich ihn heut' nicht gern!
Erzähler #127:
(Ab.)
Rhodope
#128:
Nun
geht auch ihr!
Lesbia #129: Ich bleibe, Königin!
Rhodope
#130:
Ei
nein! Dir sang's die Amme nimmer vor,
Daß Mannes Angesicht
der Tod für Dich!
Erzähler #131:
(Lesbia, Hero und die übrigen ab.)
Rhodope #132:
Das
Träumen kennt hier Keine! Auch der Besten
Ist Opfer, was mir
einz'ge Freude ist!
Erzähler #133:
(Ab.)
Freier Platz.
Viel Volk. Der König auf einem Thron. Lesbia, Hero usw. an der Seite auf einem Balkon. Die Spiele sind eben beendigt. Allgemeine Bewegung und Sonderung in Gruppen. Ringer, Faustkämpfer, Wagenlenker usw. werden nach und nach sichtbar, alle mit Zweigen von der Silberpappel bekränzt. Wein wird gereicht, Musik ertönt, das Fest beginnt.
Volk
#134:
Heil,
Gyges, Heil!
Erzähler #135:
Kandaules (in den Hintergrund
schauend).
Kandaules
#136: Im
Discuswerfen auch?
Zum dritten Mal? Das sollt' ich übelnehmen!
Da
kommt ja gar Nichts auf die Meinigen.
Erzähler #137:
(Heruntersteigend und dem aus dem Hintergrunde kommenden Gyges, dem das Volk noch immer zujubelt und Platz macht, entgegenschreitend.)
Kandaules #138:
Bescheiden
bist Du, das ist wahr! Du nimmst
Nicht mehr, als da ist.
Gyges
#139: Herr,
ich kämpfte heut'
Als Grieche, nicht als Gyges.
Kandaules
#140: Um
so schlimmer
Für uns, wenn du die neue Regel bist!
Da
tut's ja noth, die alten Drachenhäute
Hervor zu suchen und
sie auszustopfen,
Die, vom Herakles her, noch irgendwo
Im
Winkel eines Tempels faulen sollen,
Den Balg der Schlange mit den
hundert Köpfen
Und And'res mehr, was Euch erschrecken
kann!
Du hörst mich nicht!
Gyges #141: Doch! doch!
Kandaules
#142: Ei
nein, ich seh's,
Du bist zerstreut, Du schielst zu jenen
Mädchen
Hinüber, sie bemerken's auch, schau' hin,
Die
Kleine neckt die Große! Du wirst roth?
Pfui, schäme
dich!
Gyges #143: Mich dürstet, Herr!
Kandaules
#144: Dich
dürstet?
Das ist was and'res! Wer so kämpft, wie Du,
Der
hat das Recht auf einen guten Trunk,
Und, wenn auch ohne Recht,
ich trinke mit!
Nun kommt der Theil des Festes, den ich liebe!
Erzähler #145:
(Winkt einem Diener.)
Kandaules #146:
Heran!
Erzähler #147:
Ein Diener (bringt einen Pocal mit Wein).
Kandaules (gießt einige Tropfen auf die Erde).
Kandaules
#148:
Die
Wurzel erst! Und dann der Zweig!
Erzähler #149:
(Er trinkt und will Gyges den Pocal reichen. Dieser sieht wieder zu dem Balkon hinüber.)
Kandaules #150:
Komm! –
Ha! – Schwarz oder braun, das ist die Frage,
Nicht wahr?
Gyges #151: O Herr!
Kandaules #152: Hat Dir der Wein geschmeckt?
Gyges
#153:
Ich
trank noch nicht.
Kandaules
#154: Das
weißt Du? Nun, so laß
Dich mahnen, daß Du
durstig bist, und mach'!
Ich stehe Dir dafür, daß sie
so lange
Verweilt, bis Du heraus hast, was Dich quält!
Erzähler #155:
Gyges (trinkt).
Gyges #156:
Das kühlt!
Kandaules #157: O weh'! hinunter geht dein Stern!
Erzähler #158:
(Die Mädchen entfernen sich, aber man sieht sie noch.)
Kandaules #159:
Nun, es
war Zeit. Sieh Dich nur um! Die drehen
Sich schon, als wär's
um einen Thyrsosstab,
Der, plötzlich aus der Erde
aufgeschossen,
Noch rascher, wie ein Pfeil, gen Himmel steigt
Und
Millionen Trauben fallen läßt.
Der Wein ist für
geflügelte Geschöpfe,
Nicht für die Welt, worin man
hinkt und kriecht!
Die stellt er auf den Kopf. Der Alte da
Wär'
gleich bereit, den Tiger zu besteigen
Und sich die welken Schläfe
zu bekränzen,
Wie Dionys, als er zum Ganges zog!
Doch das
behagt mir eben! – War sie schön?
Gyges
#160:
Ich
weiß nicht, ob das schön, was mir gefällt?
Kandaules
#161:
Sprich
ruhig: Ja! Ein Auge, wie die Kohle,
Die zwar nur glimmt, doch vor
dem kleinsten Hauch
Schon Funken gibt, dabei ein Farbenspiel,
Daß
man nicht weiß, ob's schwarz ist, oder braun,
Und dann, als
liefe dieses ew'ge Schillern
Durch jeden Tropfen ihres Bluts
hindurch,
Ein Wechseln zwischen Schaam und stiller Glut,
Das
ihr Erröthen reizend macht, wie keins.
Gyges
#162:
Du
thust das ganz für mich, was halb der Wind,
Er lüftete
den Schleier, Du erhebst ihn!
Kandaules
#163:
Ich
tu's nicht, weil Du vor ihr knieen sollst!
Nein! Wenn ich vor ein
and'res Bild dich führte,
Du würdest dieß, so
lieblich es auch ist,
Wie einen Fleck Dir aus dem Auge
wischen,
Der dir den Spiegel trübte!
Gyges #164: Meinst du, Herr?
Kandaules
#165:
Gewiß!
Doch halt! Man soll den Schatz nicht preisen,
Den man nicht zeigen
kann! Man wird verhöhnt,
Wer glaubt an Perlen in
geschloss'ner Hand!
Gyges
#166:
Ich!
Kandaules
#167:
Gyges,
schon der Schatten, den Rhodope
Im Mondschein wirft – Du
lächelst! Trinken wir!
Gyges
#168:
Ich
lächle nicht!
Kandaules
#169: So
solltest du! Wer kann
Denn nicht so prahlen? Sprächst du so
zu mir,
Wie ich zu Dir, ich sagte: zeig' sie mir,
Sonst
schweige still!
Gyges #170: Ich traue Dir!
Kandaules
#171: Ei
was!
Dem Auge soll man trauen, nicht dem Ohr.
Du traust mir!
Ha! Vor diesem blöden Kinde
Erglühtest du und jetzt –
– Genug, genug,
Ich will mich nicht mehr schwatzend vor dir
brüsten,
Wie ich's so lange Zeit nun schon gethan,
Du
sollst sie seh'n!
Gyges #172: Sie seh'n!
Kandaules
#173: Noch
diese Nacht!
Ich brauche einen Zeugen, daß ich nicht
Ein
eitler Tor bin, der sich selbst belügt,
Wenn er sich rühmt,
das schönste Weib zu küssen,
Und dazu wähl' ich
Dich.
Gyges
#174: Oh,
nimmermehr!
Erwägst Du – Für den Mann wär's
eine Schmach,
Doch für ein Weib, und für ein Weib, wie
sie,
Das selbst bei Tag –
Kandaules
#175: Sie
kann's ja nie erfahren!
Hast Du den Ring vergessen? Und ich
bin
Erst glücklich, wenn Dein Mund mir sagt, ich sei's.
Ei,
frag' Dich selbst, ob Du die Krone mögtest,
Wenn Du sie nur
im Dunkeln tragen solltest!
Nun, so ergeht es mir mit ihr! Sie
ist
Der Frauen Königin, doch ich besitze
Sie, wie das Meer
die Perlen, keiner ahnt,
Wie reich ich bin, und ist einst Alles
aus,
So kann's kein Freund mir auf den Grabstein setzen,
Und
Bettler unter Bettlern lieg' ich da.
D'rum widerstrebe nicht und
nimm den Ring!
Erzähler #176:
(Er reicht ihn Gyges, dieser nimmt ihn nicht.)
Kandaules #177:
Die Nacht
bricht ein, ich zeig' Dir das Gemach,
Und wenn Du siehst, daß
ich's mit ihr betrete,
So folgst Du uns!
Erzähler #178:
(Er faßt Gyges bei der Hand und zieht ihn mit sich fort.)
Kandaules
#179: Ich
fordre es von Dir!
Und
bist du's Deiner Lesbia nicht schuldig?
Vielleicht ist sie die
Siegerin!
Erzähler #180:
(Beide ab.)
Ende erster Akt.
Erzähler #1:
Gyges und sein Ring - eine Tragödie in fünf Akten von Friedrich Hebbel.
Zweiter Akt
Halle.
Früher Morgen. Thoas tritt auf.
Thoas
#2:
Ich
will und muß noch einmal mit ihm reden,
Was hab' ich hören
müssen diese Nacht!
Ich ging gewiß nicht um zu horchen
aus,
Doch komm' ich so beladen heim, als wär' ich
Ein
wandelnd Ohr des blutigsten Tyrannen
Und traute mich nur kaum zum
Herrn zurück.
Empörung! Naher Ueberfall von Feinden,
Ja,
eine neue Königswahl! Ist's möglich!
Ich ahnte viel,
doch so viel ahnt' ich nicht!
Still, still! Sind das nicht
Schritte? Ja! Wer steht
Denn mit den Greisen schon vor Morgen
auf?
Der junge Gyges! Ei, wenn Du das wüßtest,
Was
ich jetzt weiß, Du gingest nicht gebückt.
Erzähler #3:
(Er zieht sich zurück.)
Gyges (tritt auf).
Gyges #4:
Schon
wieder bin ich hier! Was will ich hier?
Es duldet mich im Freien
nicht, ein Duft
Liegt in der Luft, so schwer und so betäubend,
Als
hätten alle Blumen sich zugleich
Geöffnet, um die
Menschen zu ersticken,
Als athmete die Erde selbst sich aus.
Erzähler #5:
Thoas (tritt hervor).
Thoas #6:
Schon
munter, Karna? Herr, vergib, ich hielt Dich
Für einen Andern!
Du noch nicht zu Bett?
Der Ehrgeiz läßt Dich wohl nicht
schlafen, wie?
Gyges
#7:
Der
Ehrgeiz!
Thoas
#8: Nun,
Du hast so viele Kränze
Davon getragen –
Gyges
#9: Daß
der Lorbeer sich
Vor mir nicht mehr zu fürchten braucht! Ich
wollte
Nur zeigen, daß man Knochen haben kann,
Und Mark
in diesen Knochen, wenn man auch
Die Seiten einer Cither nicht
zerreißt,
Sobald man sie berührt. Dieß weiß
nun Jeder,
Der es bisher vielleicht bezweifelt hat,
Und so
ist's gut.
Thoas #10: Doch, warum schläfst Du nicht?
Gyges
#11:
Ei,
warum trinkst Du nicht?
Thoas
#12: Du
standest wohl
Schon wieder auf?
Gyges #13: Wenn ich schon lag: gewiß!
Thoas
#14:
Das
wüßt' ich eben gern! Denn, wenn er hörte,
Was ich
gehört – Nun, nun, er wird wohl nicht!
Erzähler #15:
(Langsam ab.)
Gyges
#16:
Sie
schlummert noch! Oh, wer sie wecken dürfte!
Das darf die
Nachtigall, die eben jetzt
Noch halb im Traum ihr süßes
Lied beginnt,
Das darf – – Er kommt! Was denkt er wohl
von mir?
Erzähler #17:
Kandaules (tritt auf).
Kandaules #18:
Sie wacht
und stellt sich doch, als ob sie schliefe! –
Du, Gyges?
Schon? – Wie, oder sag' ich: Noch?
Doch nein, ich hab' Dein
Wort!
Gyges #19: Hier ist der Ring!
Kandaules
#20:
So
früh'? So schnell?
Gyges #21: Er ist Dein Eigentum.
Kandaules
#22:
Du
traust Dich nicht, ihn länger zu behalten?
Gyges
#23:
Warum
nicht? Doch wozu? So nimm ihn hin!
Kandaules
#24:
Dieß
sagt mir mehr noch, als Dein Seufzer mir
Schon in der Nacht
gesagt.
Gyges #25: Vergib ihn, Herr!
Kandaules
#26:
Wie
sprichst Du nur? Er war ja mein Triumph.
Gyges
#27:
Hast
du ihn denn allein gehört?
Kandaules
#28: O
nein!
Sie fuhr empor, sie schrie – Ist Alles das
Dir ganz
entgangen? Nun, da brauch' ich Dich
Nicht erst zu fragen, ob ich
Sieger bin!
Gyges
#29:
Es
ist mir nicht entgangen!
Kandaules
#30: Läugne
noch,
Daß du verwirrt gewesen bist! Ich habe
Noch einen
besseren Beweis, Du hast
Sogar den Ring gedreht und weißt es
nicht.
Gyges
#31:
Und
weiß es nicht!
Kandaules
#32: Sie
zitterte, als sie
Den Laut vernahm, sie rief: steh auf, steh
auf,
Im Winkel ist ein Mensch versteckt, er will
Dich morden
oder mich! Wo ist Dein Schwert?
Ich stellte mich erschreckt, wie
sie, und that's,
Und plötzlich standest Du, vom hellsten
Stral
Der Ampel grell beleuchtet, vor mir da,
Ist das genug?
Verstummst Du nun vor mir?
Gyges
#33:
Ich
wollte sichtbar sein!
Kandaules
#34: Das
sagst Du jetzt,
Um meinen Sieg zu schmälern! Wäre
ich
Nicht zwischen dich und ihren Blick getreten,
Bevor er Dich
noch traf, so hätte ich
Dich tödten müssen!
Gyges
#35: Herr,
dies wußt' ich wohl,
Und nur, weil ich Dich dazu zwingen
wollte,
Dreht' ich den Ring in hast'gem Ruck herum.
Kandaules
#36:
Wie,
Gyges?
Gyges
#37: Ja!
– Denn frevelhaft erschien
Das Wagnis mir!
Kandaules
#38: Ich
hatt' es dir erlaubt.
Gyges
#39:
Wohl!
Doch mir war in jener schwülen Stunde,
Als hätt'st Du
nicht das Recht dazu gehabt,
Und strafen wollt' ich Dich, wie
mich, denn gern
Hätt'st Du mich nicht getödtet!
Kandaules #40: Bösewicht!
Gyges
#41:
Und
jetzt noch schauert's durch die Seele mir,
Als hätt' ich eine
Missethat begangen,
Für die der Lippe zwar ein Name
fehlt,
Doch dem Gewissen die Empfindung nicht.
Ja, wenn ich Dir
den schnöden Todtenring,
Den Du mir wieder aufgesteckt, im
Zorn
Nicht vor die Füße warf, anstatt mich seiner
Zur
raschen Flucht noch einmal zu bedienen,
So unterließ ich's
bloß aus Scheu vor ihr.
Ihr wollt' ich das Entsetzen sparen,
ihr
Die ewige Umschattung ihres Seins,
Dir nicht –
Verzeih's, mich fieberte – die That!
Kandaules
#42:
Du
bist ein Thor!
Gyges
#43: Ein
Thor! Es trieb mich fort,
Als müßte sich, wenn ich noch
länger weilte,
Ein neuer rein'rer Sinn in ihr
erschließen,
Wie vor Aktäons Späh'n in
Artemis,
Und ihr, wie der, verrathen, was gescheh'n.
So werd'
ich nicht nach einem Morde flieh'n.
Kandaules
#44:
Doch
war's kein Mord!
Gyges
#45: Wer
weiß! Die Götter wenden
Sich vom Befleckten ab! Wie,
wenn sich jetzt
Die gold'ne Aphrodite, schwer beleidigt,
Von
ihrer liebsten Tochter wenden müßte,
Weil sie ein Blick
aus fremdem Aug' entweiht!
Sie thut's nicht gern, sie säumt
noch, weil sie hofft,
Daß eine rasche Sühne folgen
wird,
Oh, Göttin, lächle fort! Ich bringe sie!
Kandaules
#46:
Das
sprach der Grieche.
Gyges
#47: Herr,
gewähre mir
Die letzte Bitte!
Kandaules
#48: Tausend,
wenn Du willst,
Nur nicht die letzte! Diese kommt zu früh'!
Gyges
#49:
Nimm
mich als Opfer an! Ich schenke Dir
Mein junges Leben! Weis' es
nicht zurück!
Es sind noch viele schöne Jahre mein,
Und
jedes wird Dir zugelegt, wenn du
Sie am Altar des Zeus empfangen
willst!
So folge mir, daß ich mit einer Hand
Dich fasse
und mich mit der anderen
Durchstoße, wie der heil'ge Brauch
es fordert:
Frohlockend, ja mit Lächeln, soll's gescheh'n.
Kandaules
#50:
Fast
reut mich, was ich that! Hier Raserei
Und drinnen Argwohn –
Ei!
Gyges
#51: Was
zögerst du!
Wie oft ward solch ein Jünglingsopfer
willig
Nicht einem Kriegesfürsten dargebracht,
Wenn ihn
des Todes Schatten auch nur streifte,
Wie oft nicht einem bloßen
Wüterich!
Warum nicht einmal einem Seligen,
Warum nicht
Dir, damit du lange noch
Beglücken und Dich glücklich
fühlen kannst!
Mir raubst du nichts! Was hab' ich, und was
kann ich
Erlangen, sprich? Doch Dir gewinnst Du viel,
Denn
neidisch sind die Götter, und vielleicht
Zerschneidet Dir die
eifersücht'ge Parze
Nur allzu schnell den gold'nen
Lebensfaden,
Indeß sie meinen tückisch weiter
spinnt.
Komm ihr zuvor und gieb der Lust die Dauer,
Die sie der
Qual bestimmte! Thu's sogleich!
Kandaules
#52:
Nichts
mehr davon! Du weißt, was Du mir bist!
Und würd' ich
auf der Stelle auch ein Greis
Mit trock'nen Lippen und mit welken
Adern,
Ich borgte mir nicht neue Glut von Dir!
Gyges
#53:
Doch
würdest Du dabei auch jetzt Nichts wagen,
Denn könnte
ich mein Blut mit Deinem mischen:
Wie heiß es sei, es
bliebe, wie es ist!
Kandaules
#54:
Du
bist in dieser Stunde noch verwirrt,
Und weißt nicht, was Du
sprichst und was Du thust.
Gyges
#55:
Vergib's
mir, Herr!
Kandaules
#56: Ich
schelte dich ja nicht!
Das ist ein Rausch, wie der vom Duft der
Reben,
Ein kühler Hauch des Morgens bläs't ihn fort.
Erzähler #57:
(Indem er geht.)
Kandaules #58:
Ich hoff's zum Mindesten und werd' es seh'n!
Erzähler #59:
(Ab.)
Gyges
#60:
Warum
gab ich den Ring zurück! Ich hätte
Verschwinden, nie
mehr sichtbar werden sollen,
Dann könnt' ich ewig um sie
sein, dann würd' ich
Sie sehen, wie sie nur die Götter
seh'n!
Denn irgend Etwas sparen die sich auf:
Ein Reiz der
Schönheit, den sie selbst nicht kennt,
Ein Blitzen in der
tiefsten Einsamkeit,
Ein letzter, ganz geheimnißvoller
Zauber,
Das ist für sie und wär' jetzt auch für
mich!
Zwar würd' ich ihrer Rache nicht entgeh'n,
Wenn ich
verstohlen aus dem Kelche nippte,
Der einzig für sie selber
quillt und schäumt.
Es würde plötzlich in den
Lüften klingen,
Und Helios, durch einen Flammenwink
Der
zorn'gen Aphrodite angefeuert,
Den sichersten von all den sich'ren
Pfeilen
Versenden, welche er im Köcher trägt.
Dann
stürzt' ich hin, allein das thäte Nichts,
Denn im
Verröcheln würde ich den Ring
Noch einmal drehen und zu
ihren Füßen,
Mein Auge zu dem ihrigen erhebend
Und
ihre Seele, wie die meine wiche,
Aus ihren Blicken durstig in mich
saugend,
Verhaucht' ich meines Odems letzten Rest!
Erzähler #61:
(Thoas kommt mit der verschleierten Lesbia.)
Thoas
#62:
Der
König schenkt dem Gyges, seinem Günstling,
Die schöne
Sclavin, die ihm wohl gefällt!
Gyges
#63:
Der
König will mich höhnen, und das habe
Ich nicht um ihn
verdient, auch duld' ich's nicht!
Thoas
#64:
Die
Gabe ist zwar reich und auserlesen,
Doch zweifle nicht, es ist des
Königs Ernst.
Gyges
#65:
Schweig,
Unverständigster der Unverständ'gen,
Der Ernst des
Königs ist der ärgste Spott!
Thoas
#66:
Thu
Du den Mund auf, Mägdlein, sag's ihm selber,
Wenn er's dem
meinigen nicht glauben kann!
Gyges
#67:
Kein
Wort!
Thoas #68: Verschmähst Du das Geschenk des Königs?
Gyges
#69:
Ja!
Thoas #70: Gyges! Doch, Du weißt ja, was Du tust!
Gyges
#71:
Der
König schlug mich thot und drückt der Leiche
Jetzt ein
Juwel für's Leben in die Hand.
Thoas
#72:
Ich
kann Dich nicht versteh'n und werde melden,
Was ich gehört! –
So komm mit mir zurück!
Lesbia
#73:
Du
siehst mich nicht zum zweiten Mal! Vergib,
Daß ich
gesprochen, klingt es doch gewiß
In deinen Ohren rauh!
Gyges
#74: Nein,
holdes Kind!
Stell' Dich nur hinter den Platanenbaum,
Und
sprich, wie jetzt. Dann ruft ein heißer Jüngling:
Die
erste Nachtigall, die nicht bloß singt!
Lesbia
#75:
Du
bist kein Jüngling!
Gyges
#76: Ich
bin weniger!
Das siehst Du ja! Zwar kam es mir schon vor,
Als
sei ich nicht der Letzte in den Waffen,
Als hätt' ich dieß
und das gethan, als zupfe
Mich Keiner ungestraft mehr bei den
Ohren,
Als rufe man mich gar, wenn just kein Bess'rer
Zu Haus
sei, in der Stunde der Gefahr;
Doch das sind Knabenträume!
Peitscht den Buben,
Er trank wohl Wein zur Nacht!
Lesbia
#77: Erst
bringe mir
Ein Reis vom Lorbeerbaum, dann peitsch' ich Dich
Und
winde Dir nachher den Kranz!
Gyges
#78: So
hast
Du's mit geträumt? So wär's vielleicht gar
wahr?
Und doch den Hohn?
Lesbia #79: Den Hohn? Wo ist denn Hohn?
Gyges
#80:
Stehst
Du nicht da?
Lesbia #81: Das schmerzt!
Gyges
#82: Nicht
so! Nicht so!
Gewiß, nicht so!
Lesbia
#83: Du
tödtetest schon manchen,
Hast Du je Einen wieder aufgeweckt?
Gyges
#84:
Du
bist sehr schön! Ei freilich! Ein Gemisch
Von Lilien und
Rosen, die im Beet
Bunt durcheinander steh'n, und die der Wind
In
gauklerischem Spiel so neckisch schaukelt,
Daß man sie nicht
mehr unterscheiden kann!
Jetzt bist du roth, jetzt blaß! Und
nicht einmal!
Du bist's zugleich!
Lesbia
#85: Was
weißt denn Du von mir?
Das träumtest Du! Ich seh' ganz
anders aus!
Erschrick!
Erzähler #86:
(Sie will sich entschleiern.)
Gyges #87: Nein, nein!
Erzähler #88:
(Hält sie ab.)
Lesbia
#89: Zur
Königin zurück!
Sie gab mich nicht mit Freuden her, sie
nimmt
Mich willig wieder auf!
Gyges
#90: Dann
sage ihr,
Der Gyges hätt' Dich gar nicht angeseh'n!
Lesbia
#91:
O
Schmach!
Gyges
#92: Nicht
doch! Du weißt, wie oft ich gestern,
Und früher hab'
ich Dich ja nie erblickt,
Nach Dir gespäht!
Lesbia
#93: Ich
habe dann wohl immer
Was Albernes getan! Wie schäm' ich
mich,
Daß ich das jetzt erst merke! Doch die Andern
Sind
Schuld daran mit ihrer Neckerei!
Gyges
#94:
Ich
sah nur, was mich reizte!
Lesbia:
#95 O
gewiß,
Denn, was uns reizt, das lieben wir verhüllt!
Komm,
Alter!
Gyges
#96: Warum
eilst du so?
Ich bin dein Herr! Doch zitt're nicht vor mir,
Ich
will von Dir nur einen einz'gen Dienst,
Dann magst Du wieder
zieh'n!
Erzähler #97:
Lesbia (zu Thoas).
Lesbia #98: So geh allein!
Gyges
#99:
Bleib,
bleib! – Doch nein! – Dem König meinen Dank!
Ich
nehme sein Geschenk, und wie ich's ehre,
Werd' ich ihm zeigen!
Thoas #100: Wohl!
Erzähler #101:
(Ab.)
Lesbia #102: Und nun der Dienst?
Gyges
#103:
Du
sollst so lange weilen, bis das Lächeln
Dir wieder kehrt!
Lesbia #104: Das wird nicht schnell gescheh'n!
Gyges
#105:
Und
in der Zwischenzeit ein wenig plaudern!
Du bist ja um die Königin,
ihr schmeckt
Der Pfirsich sicher nur, wenn Du ihn brachst:
Sprich
mir von ihr!
Lesbia #106: Von ihr!
Gyges
#107: Ich
meine nur! –
Von etwas And'rem, wenn du willst! Vom
Garten,
In dem sie wandelt, oder von den Blumen,
Die sie am
liebsten pflückt! Auch von Dir selbst!
Ich hör' es gern!
Worin seid Ihr Euch gleich?
Sag's rasch, damit Du rasch mir theuer
wirst!
An Wuchs? Nicht ganz! Noch minder an Gestalt!
Doch dafür
ist das Haar Dir schwarz, wie ihr,
Nur nicht so voll – ihr
kriecht es um's Gesicht
Herum, wie um den Abendstern die Nacht!
–
Was hast du sonst von ihr?
Erzähler #108:
Lesbia (macht eine unwillkürliche Bewegung).
Gyges
#109: Nein,
bleibe steh'n!
Im Gange ist sie einzig! Wenn Du schreitest,
So
sieht man, Du willst dahin oder dorthin,
Dich reizt die Dattel,
oder auch der Quell,
Doch wenn sie sich bewegt, so blicken
wir
Empor zum Himmel, ob nicht Helios
Den gold'nen Sonnenwagen
eilig senke,
Um sie hinein zu heben und mit ihr
Dahin zu zieh'n
in alle Ewigkeit!
Lesbia
#110:
Ja,
sie ist schön!
Gyges
#111: Du
schlägst die Augen nieder?
Ei, Mägdlein, die erhebe,
denn mir däucht,
Die sprühen, wie die ihrigen!
Erzähler #112:
Lesbia (lacht krampfhaft).
Lesbia
#113: Vielleicht
In
dieser Stunde!
Gyges #114: Tat mein Wort dir weh'?
Lesbia
#115:
Ich
glaub', ich lachte, und nun darf ich geh'n!
Gyges
#116:
Nicht
ohne ein Geschenk! Ja, holdes Kind,
Du sollst an Gyges noch mit
Liebe denken!
Er ist zwar rauh und schlägt oft eine
Wunde,
Eh' er es ahnt, besonders mit der Zunge,
Doch ließ
er nie noch eine ungeheilt.
Erzähler #117:
Kandaules (tritt auf).
Kandaules #118:
Nun?
Gyges #119: Herr, Du kommst im rechten Augenblick!
Kandaules
#120:
Dann
müßte ich zwei Glückliche hier finden!
Gyges
#121:
Noch
nicht, doch gleich!
Erzähler #122:
(Zu Lesbia.)
Gyges
#123: Gib
Deine Hand einmal!
Wie zart ist sie! Wie hart die meinige,
Wie
schwielenreich von Schwert und Spieß! Das paßte
Doch
gar zu schlecht! Die muß ein Rosenblatt,
Das sich zusammen
rollt, schon schmerzlich spüren,
An meiner stumpft der
schärfste Dorn sich ab!
Sie zuckt, als ob sie eingeschmiedet
wäre,
Kind, fürchte Nichts! Ich fasse Dich nicht
an,
Weil ich Dich halten will! Der König weiß,
Daß
ich nicht bloß sein klares Wort verstehe,
Daß ich auch
seinen Wink mir deuten kann.
Er sah mit Schmerz, daß die
Natur für Dich
So viel gethan und Nichts das arge Glück,
Er
will, daß ich das Glück bei Dir vertrete:
Ich thu' es
Erzähler #124:
(läßt sie los)
Gyges #125: und erkläre Dich für frei!
Lesbia
#126:
Die
Freiheit, sagt man, ist ein hohes Gut,
Ich kenn' sie nicht, ich
ward als Kind geraubt,
Allein für hohe Güter muß
man danken,
So danke ich für meine Freiheit Dir!
Gyges
#127:
Bist
du zufrieden, Herr?
Kandaules #128: Ich bin erstaunt!
Gyges
#129:
Und
da Du denn nicht weißt, wo Dir die Mutter
Nachweint, und wo
das Haus des Vaters steht,
So geh, bis Du es findest, in das
meine,
Ich schenke Dir's und hol'
nur noch mein Schwert!
Erzähler #130:
Lesbia (Ab).
Kandaules
#131:
Was
machst du, Gyges?
Gyges
#132: Herr,
ich danke Dir,
Daß Du dies Werk durch mich vollbringen
wolltest:
Es bleibt das Deinige!
Kandaules
#133: Du
willst, wie's scheint,
Den Enkel des Heracles einmal seh'n,
Nimm
dich in Acht, er schläft nicht gar zu fest!
Gyges
#134:
Konnt'
ich Dich heute kränken?
Kandaules
#135: Nein!
Vergib!
Doch geh sogleich und nimm Dir aus dem Schatz
Das
Doppelte von dem, was Du verschenktest,
Dein Thun verdroß
mich, und es schmerzt mich noch!
Gyges
#136:
Verzeih
mir, wenn ich nicht gehorchen kann!
Das Alles ward auf einmal mir
zur Last,
Und da sich jetzt zu Gold und Edelstein
Die schöne
Sclavin noch hinzu gesellte,
So nutzt' ich ihren schlanken weißen
Nacken
Und hing die Kostbarkeiten daran auf.
Ich kann Nichts
weiter brauchen, als mein Schwert,
Doch, wenn du dich mir gnädig
zeigen willst,
So schenke mir die Köpfe Deiner Feinde,
Ich
sammle sie bis auf den letzten ein.
Kandaules
#137:
Du
bist ein and'rer, Gyges, als Du warst.
Gyges
#138:
Ich
bin es, Herr.
Kandaules #139: Du liebst!
Gyges
#140: Ich
hätt' das Mägdlein
Zusammen hauen können: liebe
ich?
Kandaules
#141:
Du
liebst Rhodopen!
Gyges
#142: Herr,
ich kann Dir bloß
Nicht länger dienen.
Kandaules
#143: Scheide,
wenn Du mußt!
Es tut mir weh', doch darf ich's Dir nicht
wehren!
Und da Du Nichts von mir empfangen willst,
So kann ich
auch von Dir Nichts mehr behalten:
Hier ist Dein Ring!
Gyges #144: Gib mir Dein Schwert dafür!
Kandaules
#145:
Ich
danke Dir, daß Du so edel bist!
Erzähler #146:
(Will ab.)
Gyges
#147:
Noch
Etwas!
Erzähler #148:
(Er zieht von seiner Brust
einen Stein hervor.)
Gyges #149: Nimm!
Kandaules #150: Das ist?
Gyges #151: Du kennst ihn wohl!
Kandaules
#152:
Rhodopens
Diamant!
Gyges
#153: Ich
nahm ihn mit,
Weil er an ihrem Hals – Erlass' es mir,
Es
ist gebüßt!
Kandaules
#154: Erinnyen,
seid Ihr's?
Oh, es ist wahr, Ihr habt den leicht'sten Schlaf!
Gyges
#155:
Du
grollst mir?
Kandaules
#156: Nein!
Nicht Dir! Leb' wohl, leb' wohl!
Doch niemals dürfen wir uns
wiederseh'n!
Erzähler #157:
(Ab.)
Gyges
#158:
Niemals!
Ich geh' sogleich! Wohin denn nur?
Was wollt' ich doch, eh' ich
mit diesem Lyder
Zusammen traf? Vergaß ich's schon? Ei
nein!
Mich trieb's hinunter an den alten Nil,
Wo gelbe Menschen
mit geschlitzten Augen
Für toDte Kön'ge ew'ge Häuser
bau'n.
Nun, meine Straße setz' ich fort und löse
Dort
unten einen ab, der müde ist!
Erzähler #159:
(Ab.)
Ende zweiter Akt.
Erzähler #1:
Gyges und sein Ring - eine Tragödie in fünf Akten von Friedrich Hebbel.
Dritter Akt
Rhodopens Gemach.
Hero und andere Dienerinnen sind mit Ordnen beschäftigt.
Rhodope (tritt herein).
Rhodope #2:
Warum sind diese Spiegel nicht verhüllt?
Hero
#3:
Die
Spiegel, Königin?
Rhodope
#4:
Und
diese Thüren,
Wer stieß sie so weit auf?
Hero
#5: Du
hast es gern,
Hinaus zu schauen in den hellen Morgen
Und
einzuathmen seinen frischen Hauch!
Rhodope
#6:
Wer
sagt Dir das? Genug! Verschließe sie
Und wende alle Spiegel
um!
Erzähler #7:
Hero (schließt die Thüren und wendet die Spiegel um).
Rhodope
#8:
Es
ist!
Ich suche mich umsonst zu überreden,
Daß ich
mich täuschte! Kehre wieder, Nacht,
Und birg mich in den
dichtesten der Schleier,
Ich bin befleckt, wie niemals noch ein
Weib!
Hero
#9:
Doch
diese Rose wirst Du nicht verschmäh'n,
Die ich Dir schon vor
Sonnenaufgang pflückte!
Rhodope
#10:
Hinweg
mit ihr! Sie welkt bei mir zu schnell!
Erzähler #11:
Hero (indem sie sich mit ihren
Begleiterinnen entfernt).
Hero #12:
Ich heiße Hero und nicht Lesbia!
Rhodope
#13:
Ihr
ew'gen Götter, konnte das gescheh'n?
Ich hab' Euch schon mit
reiner Kinderhand
So manches fromme Opfer dargebracht!
Euch
fiel die erste Locke meines Hauptes,
Eh' ich noch ahnte, daß
Ihr allen Segen
In Händen haltet, der dem Menschen
frommt!
Nie hat die Jungfrau Euren Dienst versäumt,
Und
selten stieg mit ihrer Opferflamme
Zugleich ein Wunsch zu Eurem
Sitz empor:
Sie suchte jeden, der sich regen wollte,
Mit Schaam
und Angst bis unter das Bewußtsein
Hinab zu drücken,
denn sie warb allein
Um Eure Gunst und nicht um Eure Gaben,
Sie
wollte danken, aber Nichts erfleh'n!
Auch hat das Weib sich durch
kein Traumgesicht,
Wie es die Tyndariden-Tochter schreckte,
Erst
mahnen lassen an die heil'ge Pflicht,
Sie kam von selbst und
schmückte den Altar.
Und dennoch – Warum weiht Euch
denn der Mensch
Den besten Theil von allen seinen Gütern,
Wenn
Ihr nicht gnädig ihn beschirmen wollt,
Wo er sich selbst
nicht mehr beschirmen kann!
Den Löwen hält das Schwert
dem Manne fern,
Wenn er, von Hunger oder Wuth getrieben,
Hervor
stürzt um die heiße Mittagszeit:
Kein Tapf'rer ruft zu
Zeus um seinen Blitz!
Doch, daß ihn nicht die Schlange feig
beschleiche,
Wenn er, vom Kampf ermattet, ruhig schlummert,
Ist
Euer Werk, denn Euch gehört die Nacht!
Und ich – und
ich! Ruht denn ein Fluch auf mir,
Ein Fluch von Anbeginn, der Eure
Kraft
Im Styx gebunden hält, daß Ihr den Frevel,
Den
Keiner gegen meine letzte Sclavin
Nur zu versuchen wagte, an mir
selbst
Gelingen ließt, als wär's die frömmste
That?
Erzähler #14:
Hero (tritt ein).
Hero #15:
Der König!
Rhodope
#16:
Schon?
– So kommt der Tod mit ihm!
Nun, der verhüllt mich in
die Nacht der Nächte,
Wovon die ird'sche bloß ein
Schatten ist,
Was beb' ich denn? Die wünschte ich mir ja!
Kandaules
#17:
Vergibst
du?
Rhodope
#18:
Herr,
ich weiß, Du kannst nicht anders,
Da gilt die Stunde gleich.
Was fragst Du viel?
Kandaules
#19:
Ich
kann dich nicht versteh'n.
Rhodope
#20:
Sei
offen, König!
Du findest mich bereit!
Kandaules #21: Bereit! Wozu?
Rhodope #22:
Ich kenne
Deine Pflicht und danke Dir,
Daß Du sie rasch erfüllen
willst. Sie würde
Ja nur die meine, wenn Du zögertest.
Du
hast geforscht, entdeckt und gleich gerichtet,
Ich seh's Dir an,
nun trifft die Reihe mich!
Kandaules
#23:
Wohin
verirrst du dich!
Rhodope
#24:
Erscheinst
Du nicht
Als Rächer hier?
Kandaules #25: Bei allen Göttern, nein!
Rhodope
#26:
So
lebt noch Jeder, welcher gestern lebte?
Kandaules
#27:
Warum
nicht?
Rhodope #28: Mancher frevelte vielleicht!
Kandaules
#29:
Ich
weiß von Keinem!
Rhodope #30: Und was führt Dich her?
Kandaules
#31:
Hätt'
ich nach dieser Nacht kein Recht, zu kommen?
Warst Du, wie sonst?
Hast Du mir nicht sogar,
Als säßest Du, die Lilie in
der Hand,
Noch unter dem Platanenbaum, wie einst,
Den einz'gen
Kuß versagt, um den ich bat?
Rhodope
#32:
Das
wirst Du mir noch danken!
Kandaules
#33: Aber
fürchte
Dich nicht! Zwar trieb's mich zu Dir, wie am
Morgen
Nach uns'rer Hochzeit, doch Du brauchst mir nur
Zu
winken, und ich gehe, wie ich kam!
Ja, schneller werde ich von
hinnen eilen,
Als hätt' ich, um zu trinken, einer Quelle
Mich
still genaht, und sähe, daß ihr eben
Die schüchterne
Najade scheu entsteigt.
Rhodope
#34:
Bleib!
Kandaules
#35:
Nein!
Nicht eines Odemzuges Dauer,
Wenn es Dich ängstigt! Und es
ängstigt Dich,
Ich fühl' es wohl. Dies ist gewiß
die Stunde,
In welcher Du, wie Du's so lieblich nennst,
Dich
innerlich besiehst! Die will ich nicht
Entheiligen. Und hätt'
auch Aphrodite,
Holdselig lächelnd diesem frühen
Gang,
Den gold'nen Gürtel, den sie nie verschenkt
Und kaum
verleiht, mir für Dich zugeworfen:
Ich käm' ein ander
Mal und reicht' ihn Dir!
Rhodope
#36:
Halt
ein! Das klingt zu süß und macht mir bang,
Denn meine
Amme sagte: wenn der Mann
Sich allzu zärtlich seinem Weibe
nähert,
So hat er im Geheimen sie gekränkt!
Kandaules
#37:
Das
trifft mich auch! Ich habe Dich gekränkt!
Ich weiß ja,
wie Du bist, ich weiß ja auch,
Daß Du nicht anders
kannst; dein Vater thront,
Wo indische und griech'sche Art sich
mischen,
Dein Schleier ist ein Theil von Deinem Selbst.
Und
dennoch zerr' und zupf' ich stets an ihm
Und hätt' ihn
gestern gern Dir abgerissen!
Nun, das bereu' ich, und ich schwöre
Dir –
Dies trieb mich her! – es soll nicht mehr
gescheh'n!
Erzähler #38:
Rhodope (lacht).
Kandaules
#39:
Denn
nie noch sehnte ich mich so, wie heut',
Nicht bloß das Leid,
das tief in's Mark sich gräbt
Und Narben hinterläßt,
Dir fern zu halten,
Nein, auch den kleinsten Schatten, welcher
Dir
Die Seele trüben könnte, zu verscheuchen,
Und
würf' ich einen solchen Schatten selbst!
Dich hüten will
ich, wie die treue Wimper
Dein Auge hütet: nicht dem Sandkorn
bloß
Verschließt sie sich, auch einem
Sonnenstrahl,
Wenn er zu heiß ist und zu plötzlich
kommt.
Rhodope
#40:
Zu
spät! Zu spät!
Kandaules #41: Was wär' zu spät, mein Weib?
Rhodope
#42:
Ich
– – Nein, ich sag's ihm nicht, ich kann's nicht sagen,
Er
mag's errathen, und wenn er's erräth,
So knie' ich stumm und
lautlos vor ihm nieder
Und deute auf sein Schwert und meine Brust!
Kandaules
#43:
Hat
Dich ein Traum erschreckt?
Rhodope
#44:
Ein
Traum? O nein,
Für mich war keiner übrig, einer
Warnung
War ich nicht werth! Der Stein, der schmetternd fällt,
Hat
seinen Schatten, daß der Mensch ihn merke,
Das rasche
Schwert den Blitz, doch was mich traf –
Kandaules, sprich,
ich sehe, Du willst fragen,
So frage endlich!
Kandaules
#45: Ich?
Nun ja doch, ja!
Am liebsten Deine Hand!
Rhodope
#46:
Rühr'
sie nicht an.
Den Fleck nimmt dir kein Wasser wieder weg.
Kandaules
#47:
O
Gyges! – Nun, wenn Du die Hand mir weigerst,
Auch Deine
Wange sagt mir schon genug:
Du glühst im Fieber! Doch der
beste Arzt
Steht vor der Thür. Warum ist sie
verschlossen,
Indes ein Morgen, welchen alle Horen
Beschenkten,
draußen, wie ein Bettler, klopft.
Rasch auf mit ihr, und
gleich bist Du geheilt!
Erzähler #48:
(Er will öffnen.)
Rhodope
#49:
Halt!
öffne lieber eine Todtengruft!
Nicht finst'rer wird der reine
Sonnengott
Sich von zerbroch'nen Aschenkrügen wenden,
Als
von dem Weibe, das Du Dein genannt!
Kandaules
#50:
Unselige!
Rhodope
#51:
Sprich!
War im Schlafgemach – –
Antworte doch!
Kandaules
#52: Ein
Mörder? Nein doch, nein!
Ei, frag Dich selbst, hätt' ich
ihn nicht getötet?
Rhodope
#53:
Wenn
Du ihn sahst!
Kandaules
#54: Und
mußt' ich ihn nicht seh'n?
Die Ampel war nur eben
angezündet
Und brannte hell.
Rhodope
#55:
So
scheint's! – Und doch vernahm
Ich mancherlei Geräusch,
das nicht von Dir
Und auch von mir nicht kam.
Kandaules
#56: Die
Nacht ist reich
An Schällen und an seltsam fremden
Klängen,
Und wer nicht schläft, hört viel.
Rhodope #57: Es rasselte.
Kandaules
#58:
Ein
Mauerwurm!
Rhodope
#59:
Es
klang, als ob ein Schwert
An Etwas streifte.
Kandaules
#60: Mag's!
Wo wär' der Ton,
Den die Natur in wunderlicher Laune
Nicht
irgend einem possenhaften Thier
Als Stimme einverleibte? Reiß
einmal
Dein Kleid entzwei und merke Dir den Laut,
Ich schaff'
dir ein Insekt, das ganz so schnarrt.
Rhodope
#61:
Auch
seufzen hörte ich.
Kandaules #62: Und seufzen Mörder?
Rhodope
#63:
Nein,
nein! Das ist's!
Kandaules
#64: Der
kühle Nachtwind war's,
Er wollte Dir um Mund und Wangen
spielen
Und seufzte, als er nur auf Mauern stieß.
Ei,
gibt's doch Bäume, die, wie jener Stein
Das Licht des Tages
trinkt, um es im Dunkeln
Zurückzugeben, Klang und Schall
verschlucken,
Die singen, plappern, ächzen dann bei Nacht!
Rhodope
#65:
So
nimmst Du es? Noch mehr! Mir fehlt ein Schmuck
Kandaules
#66:
Ein
Edelstein vielleicht? Ein Diamant?
Der da?
Rhodope #67: Du hast ihn? Du?
Kandaules #68: Wer sonst? Du siehst!
Rhodope
#69:
Dank,
ew'gen Dank, Ihr Götter, und vergebt
Den Zweifel eines
Herzens, das sich schuldlos
Zertreten wähnte! Oh, Ihr seid
uns nah',
Wie Licht und Luft!
Kandaules
#70: Erinnyen,
hinab! –
Da!
Rhodope
#71:
In
den Tempelschatz mit ihm! Ich bin
Den Gnädigen ein reiches
Opfer schuldig,
Vor allem ihr, der Allverknüpferin!
Aus
gold'nen Körben sollen ihre Tauben
Von heute an die weichsten
Körner picken,
Aus Marmorbecken löschen ihren Durst!
Und
Du, Kandaules, Du – – –
Kandaules
#72: Der
Jüngling küßt,
Wenn er des Mädchens denkt,
die eig'ne Hand,
Die sie ihm drückte, als sie von ihm
schied,
Der Mann braucht etwas mehr.
Rhodope
#73:
O
Tag des Glücks!
Ist Dir Dein Weib so teuer? Nun, da bitt'
ich
Dir stilles Unrecht ab. Ich sorgte immer,
Es sei mehr Stolz
auf den Besitz, als Liebe,
In der Empfindung, die Dich an mich
fesselt,
Und deine Neigung brauche schon den Neid
Der Andern,
um nicht völlig zu erlöschen!
Nun fürcht' ich das
nicht mehr.
Kandaules
#74: Und
niemals sollst
Du's wieder fürchten! Weiß ich doch, was
Dir
Das Herz vergiftet hat. Du glaubtest Dich
Verkürzt
durch Gyges! Und es ist gewiß,
Daß ich gar manchen Tag
mit ihm verbrachte,
Und fast ein Jäger ward, weil er es
ist.
Zwar griff das nicht in Deine Rechte ein,
Denn, was den
Mann mit einem Mann verbindet,
Ist für das Weib nicht da, er
braucht's bei ihr
So wenig, wie den Schlachtmuth, wenn er
küßt.
Doch, muß ich Deine Furcht auch thöricht
nennen:
Ich spar' kein Mittel, um Dich rasch zu heilen,
So höre
denn: mein Günstling Gyges geht!
Rhodope
#75:
Wie?
Kandaules #76: Heute noch!
Rhodope #77: Unmöglich!
Kandaules
#78: Wär'
Dir das
Jetzt nicht mehr recht? Du schienst es sonst zu wünschen!
Rhodope
#79:
Oh,
daß ich dies in meinem Freudenrausch
Vergessen konnte!
Kandaules #80: Was denn?
Rhodope
#81:
Deine
Hand! –
Der war's, der stand auf einmal mir vor Augen,
Als
wär' sein feur'ger Umriß in der Luft
Zurück
geblieben! Oh, wie fürchterlich
Bestätigt sich's. –
Gib her! – Er hat den Ring!
Kandaules
#82:
Der
ist mein Eigentum!
Rhodope
#83:
Sprich,
hast Du ihn
Nicht wieder abgelegt, seit du ihn trägst?
Auch
nicht verloren, oder sonst vermißt?
Kandaules
#84:
Unglückliche,
was quälst Du Dich mit Schatten!
Rhodope
#85:
Er
weicht mir aus! – Du schickst den Gyges fort?
Auf einmal
fort, wie einen Missethäter?
Warum?
Kandaules #86: Das sagt' ich nicht. Er geht von selbst.
Rhodope
#87:
Er
geht von selbst? Was treibt ihn denn von hinnen?
Kandaules
#88:
Ich
weiß es nicht und hab' ihn nicht gefragt.
Rhodope
#89:
Du
weißt es nicht? So will ich Dir es sagen:
Er hat an Dir
gefrevelt, wie noch Keiner,
Und Du mußt strafen, wie Du nie
gestraft!
Kandaules
#90:
Rhodope,
welch ein Wort! Er ist gewiß
Der Edelste der Edlen.
Rhodope
#91:
Ist
er das,
Wie kannst Du ihn so ruhig ziehen lassen?
Kandaules
#92:
Weil
auch der Beste wider seinen Willen
Statt Segens stillen Fluch
verbreiten kann.
Rhodope
#93:
Ist
das sein Fall? Und hat er's selbst gefühlt?
Kandaules
#94:
Und
wenn auch nicht – Sein Sinn ist stolz, er strebt
Nach großen
Dingen, und er darf es wagen.
Rhodope
#95:
Meinst
Du?
Kandaules
#96: Kein
Königsthron steht ihm zu hoch.
Und wenn er geht und mir den
Grund verbirgt:
Gib acht, mit einer Krone kehrt er wieder
Und
spricht dann lächelnd: diese trieb mich fort!
Rhodope
#97:
Ja?
Kandaules
#98: Theures
Weib, Dich hat die Nacht verstört,
Der Schreck –
Rhodope #99: Kann sein!
Kandaules #100: Du hörtest Allerlei –
Rhodope
#101:
Was
nicht zu hören war! Fast glaub' ich's selbst,
Denn –
nun besinn' ich mich – ich sah auch falsch!
Du hast den Ring
nicht wieder abgelegt,
Du hast ihn nicht verloren, noch
vermißt,
Und mir kam's dennoch vor – ich spähte
scharf,
Und Morgen war's, und alles And're sah ich –
Als
fehlte er an Deiner Hand. So zeugt
Denn Sinn hier gegen Sinn, das
blinde Auge
Verbürgt das taube Ohr. Vergib mir nur,
Daß
ich dich quälte, und vergönne mir
Ein wenig Einsamkeit,
um mich zu fassen.
Erzähler #102:
Kandaules (will reden).
Rhodope
#103:
Jawohl!
Jawohl! Vergib nur, Herr, und geh!
Erzähler #104:
Kandaules (ab).
Rhodope
#105:
Kein
andrer ist's, als Gyges – das ist klar!
Er hat den Ring
gehabt – das ist noch klarer!
Kandaules ahnt's, er muß
– das ist am klarsten!
Und statt das Ungeheure ungeheuer
An
ihm zu ahnden, läßt er ihn entflieh'n.
So wird ein
Räthsel durch ein and'res Räthsel
Gelös't, das mich
von Sinnen bringen kann,
Wenn es mir dunkel bleibt! Ein Gatte
sieht
Sein Weib entehrt – entehrt? Sprich gleich: getödtet
–
Getödtet? – Mehr, verdammt, sich selbst zu
tödten,
Wenn nicht des Frevlers Blut zur Sühne
fließt!
Der Gatte ist ein König, trägt das
Schwert
Der Dike, braucht von der Erinnys nicht
Den Dolch zu
borgen, hat die heil'ge Pflicht,
Den Gräu'l zu strafen, wenn
die Liebe ihn
Nicht antreibt, ihn zu rächen, muß den
Göttern
Das Opfer bringen, wenn er's mir versagt!
Und
dieser Gatte, dieser König zückt
Nicht Schwert, noch
Dolch, er läßt den Frevler flieh'n!
Doch das soll nicht
gelingen! Mir auch fehlt's
Nicht an erprobten Dienern. Nicht als
Sclavin,
Als Königstochter trat ich in dies Haus,
Und mein
Geleite war ein königliches.
Die alten Vielgetreuen ruf' ich
auf,
Daß sie dem Fliehenden den Weg vertreten,
Dann
sprech' ich zu Kandaules: hier bin ich,
Dort ist der Günstling,
wähle, dieser Dolch
Ist für mich selbst, wenn nicht Dein
Schwert für ihn!
Erzähler #106:
Lesbia (tritt herein).
Lesbia #107:
Vergibst Du, Königin?
Rhodope
#108:
Was
denn, mein Kind?
Daß Du zu mir zurück kehrst? Oh,
vergib
Nur Du, daß ich Dich von mir lassen konnte,
Mir
war – ich wußte selbst nicht, was ich tat.
Doch mein'
ich, daß der König zu mir sagte,
Du gingest gern, und
ach, ich hatte ihm
In jener Nacht so viel schon weigern
müssen,
Daß mir der Muth zum neuen Nein gebrach.
Lesbia
#109:
So
bin ich nicht mehr frei? So darf ich mich
Zu deinen Dienerinnen
wieder zählen?
Rhodope
#110:
O
nein! Als Schwester komm an meine Brust.
Lesbia
#111:
Was
ist gescheh'n? Du bist bewegt, wie nie.
Rhodope
#112:
Entsetzliches,
das keinen Namen hat!
Denn, eh' ich's nennen kann, hat sich's
verändert
Und ist noch grauenvoller, als es war.
Ja,
Nachtgeburt, die mir entgegen grins't,
Mir däucht, dein
erstes Antlitz könnt' ich küssen,
Nun dämmernd mir
das zweite sich enthüllt.
Lesbia
#113:
Kann
ich was für Dich tun? – Die Frage ist
Wohl thörigt,
nicht?
Rhodope
#114:
Du
kannst nicht tödten, Mädchen,
Und wer nicht tödten
kann, der kann für mich
Auch Nichts mehr tun.
Lesbia #115: Gebieterin!
Rhodope
#116:
So
ist's!
Du starrst mich an, Du kannst es gar nicht fassen,
Daß
solch ein Wort aus meinem Munde kommt.
Ja, Lesbia, ich bin's!
Rhodope ist's,
Die Euch so oft gewarnt und abgehalten,
Dem Tode
in sein traurig Amt zu greifen,
Und wenn es auch nur eine Spinne
galt!
Ich hab' es nicht vergessen, doch das war,
Als ich im
frischen Morgenthau mich wusch
Und in dem Stral der Sonne
trocknete:
Jetzt rufe ich nach Blut, jetzt ist von mir
Nur so
viel übrig, als die Götter brauchen,
Um das zu rächen,
was ich einmal war!
Lesbia
#117:
Weiß
Dein Gemahl denn nichts? Am Rächer kann's
Der Königin
von Lydien nicht fehlen.
Rhodope
#118:
So
scheint's! Und doch – Nun, wissen will ich's bald!
Geh,
Lesbia, und ruf mir Karna her!
Lesbia
#119:
Du
meinst, ich soll ihm etwas von dir sagen.
Rhodope
#120:
Das
ist vorbei! –
Lesbia #121: Doch Deinen Schleier willst Du!
Rhodope
#122:
Nein!
Nein!
Lesbia #123: Mich graus't! Es ist das erste Mal!
Erzähler #124:
(Ab.)
Rhodope
#125:
Er
kann den Freund nicht opfern, darum wird
Sein Weib verschont. Denn
sonst ertrüg' er's nicht!
Erzähler #126:
Lesbia (tritt mit Karna ein).
Rhodope
#127:
Karna,
Du weißt, was Du geschworen hast,
Als Dir Dein Herr, mein
königlicher Vater,
Am gold'nen Thor die Tochter übergab.
Saß
ich auch hoch auf meinem Elephanten,
War ich auch tief verhüllt
in meinen Schleier,
Doch hab ich wohl beachtet, was geschah,
Und
nicht ein Wort vergessen, das Du sprachst.
Karna
#128:
Auch
ich nicht, und ich hoff's Dir darzutun!
Rhodope
#129:
So
such den Griechen Gyges auf und künd' ihm,
Daß ich ihn
sehen will.
Karna #130: Du?
Rhodope
#131:
Eile
dich,
Damit er nicht entkommt, verfolge ihn,
Wenn er entfloh,
und bringe ihn zurück,
Noch eh' es Nacht wird, muß er
vor mir steh'n.
Karna
#132:
Ich
lief're ihn, lebendig oder tot.
Erzähler #133:
(Ab.)
Lesbia
#134:
Was
hör' ich? Gyges wär' es?
Rhodope #135: Gyges ist's!
Lesbia
#136:
Er
hätte dich gekränkt?
Rhodope
#137:
Er
hat gefrevelt
Am Heiligsten, er hat den schwersten Fluch
Auf
mich herabgezogen, jenen Fluch,
Den alle Götter wider Willen
schleudern,
Weil er nur Menschen ohne Sünde trifft,
Er ist
es, der mich tödten lehrt!
Lesbia
#138: Er
nicht
Ich schwöre Dir's!
Rhodope #139: Wie kannst du?
Lesbia
#140: Königin,
Auch
ich erlebte etwas, und ich weiß,
Daß er die Seele eher
lassen würde,
Als Dich verletzen.
Rhodope #141: So.
Lesbia
#142: Ich
habe Dir
Ein Wort von ihm zu sagen! Oh, wie bitter
Hat mich
dies Wort geschmerzt, als ich's vernahm,
Jetzt freut's mich fast.
Ich soll dir von ihm melden
Er hätt' mich gar nicht
angeseh'n! – Er liebt Dich!
Nun frag' Dich, ob es möglich
ist!
Rhodope
#143:
Er
liebt mich!
So ist's gewiß!
Lesbia #144: Wie?
Rhodope
#145:
Thörin,
sage mir,
Kann man das lieben, was man niemals sah?
Und wenn
mich Gyges sah: wann sah er mich?
Erzähler #146:
Lesbia (legt sich die Hand vor die Augen).
Rhodope
#147:
Nun
sprich als Mädchen, ob er sterben muß!
Erzähler #148:
Ende dritter Akt.
Erzähler #1:
Gyges und sein Ring - eine Tragödie in fünf Akten von Friedrich Hebbel.
Vierter Akt
Gemach der Königin.
Rhodope
#2:
Oh,
einen Augenblick Vergessenheit!
Wozu das Räthsel ewig
wiederholen?
Es wird ja bald gelös't. – Ich sollt' es
machen,
Wie meine Mädchen, die zum Zeitvertreib
Auf alle
Töne horchen und sich streiten,
Von welchem Vogel jeder
kommt, und ob
Der roth ist oder grün. – Welch ein
Geräusch!
Ist Karna da mit ihm? Still, Alles still.
Es war
wohl Nichts. – Wie hab' ich mich verändert!
Wann fragt'
ich sonst den Schall nach dem Woher,
Mich schreckte Nichts, mich
schreckte nicht einmal
Des Feuers Glut, und wenn sie noch so
roth
Am Himmel aufstieg und sich noch so drohend
Verbreitete:
ich wußte, daß ein Kreis
Von treuen Wächtern,
unsichtbar um mich
Herum gereiht, des Königs
Lieblingstochter
Mit Blut und Leben schirmte. Jetzt – ein
Schritt!
Sie sind's! Ja, Karna ist so klug, als tapfer;
Das
hört' ich stets, und heute soll ich's seh'n.
Noch nicht!
Vielleicht auch gar nicht! Nein, Ihr Götter,
So grausam
werdet Ihr nicht sein. Ich will
Ja nicht, daß Ihr die Hand
mir reichen sollt,
Um mich am Rand des Abgrunds fest zu
halten,
Ich will nur seh'n, wer mich hinunterstößt.
Je
mehr ich sinne, um so weniger
Begreif' ich meinen Gatten. Hört'
ich's doch
In frühster Jugend schon, daß die
Befleckte
Nicht leben darf, und wenn mich das als
Kind
Durchschauert hat, jetzt habe ich den Grund
Für dies
Gesetz in meiner Brust gefunden:
Sie kann nicht leben, und sie
will's auch nicht!
Gilt das für ihn allein nicht? Oder will
er
Den Frevler heimlich opfern, weil er hofft,
Mir seine
Missethat noch zu verbergen?
Habt Dank, Ihr Ewigen, auch das kann
sein!
Und findet Karna den Entfloh'nen tot,
Den kalten Dolch in
seiner heißen Brust,
So weiß ich, wessen Hand ihn
niederstreckte,
Und frage niemals mehr, wo Gyges blieb!
Erzähler #3:
Lesbia (tritt ein).
Lesbia #4:
Oh, Königin, er kommt!
Rhodope #5: Ich harre schon!
Lesbia
#6:
Und
hinter ihm schiebt, wie ein Eisen-Riegel,
Sich eine Schar
Bewaffneter zusammen.
Rhodope
#7:
Ich
glaub's, daß Karna sein Geschäft versteht.
Lesbia
#8:
Muß
es denn sein?
Rhodope
#9: Er
oder ich! Vielleicht
Wir alle beide!
Lesbia #10: Oh, du machst mich stumm!
Rhodope
#11:
Sag'
Karna, daß er jetzt zum König sende,
Ich lass' ihn
bitten auf ein einzig Wort.
Erzähler #12:
Lesbia (ab).
Rhodope
#13:
Nun,
Ihr dort unten, die Ihr keinen Frevel
Verhindert, aber einen jeden
rächt,
Herauf, herauf, und hütet diese Schwelle,
Ein
blutig Opfer ist Euch hier gewiß.
Erzähler #14:
Gyges (der während dem
eingetreten ist).
Gyges #15:
Du hast mich rufen lassen, Königin!
Rhodope
#16:
Du
weißt warum! – Du weißt es, denn Du
zitterst,
Kannst Du es läugnen? Deine Farbe wechselt,
Und
hörbar klopft das Herz in Deiner Brust.
Gyges
#17:
Hat
nicht dein Gatte auch vor dir gezittert,
Hat er die Farbe nicht,
wie ich, gewechselt,
Und hat sein Herz nicht ganz, wie mein's,
geklopft?
Erinn're dich der Stunde, wo er Dir
Zum ersten Mal
in's Antlitz schauen durfte,
Und frag' Dich, ob er mir nicht
völlig glich.
Rhodope
#18:
Dir?!
Gyges
#19: Königin,
gewiß. Ihm schwindelte,
Er stand geblendet da, und als ihm
die
Besinnung wiederkehrte, riß er stumm
Die Krone sich
vom Haupt, wie einen Kranz,
Der plötzlich welk geworden ist
im Haar,
Und warf sie mit Verachtung hinter sich.
Rhodope
#20:
Er!
ha!
Gyges
#21: Du
lächeltest ihn freundlich an,
Als Du es sahst, da kam ihm so
viel Muth,
Sich Dir um einen halben Schritt zu nähern.
Doch
seine Kniee wankten unter ihm,
Sie wollten einen edlern Dienst
verrichten,
Und eh' Du's ahntest, lag er so vor Dir!
Erzähler #22:
(Er kniet während dem nieder.)
Rhodope
#23:
Du
wagst?
Gyges
#24: Was
denn? Es war ja so. Du strecktest
Ihm unwillkürlich, halb um
ihm zu wehren,
Halb auch vielleicht, um ihn empor zu zieh'n,
Die
Hand entgegen, die er scheu und schüchtern
Ergriff, und die
sich doch zur Fingerspitze
Verkürzte, ehe er sie noch
berührt.
That'st Du das nicht? Oh, sprich!
Rhodope #25: Auf! Auf mit Dir!
Erzähler #26:
Gyges (sich wieder erhebend).
Gyges #27:
Ihn aber
traf es, wie ein Wetterschlag.
Ihm war zu Muth, als hätt' er
sich bisher,
Wie ein ereb'scher Schatten, kalt und nüchtern,
Nur
unter die Lebendigen verirrt
Und jetzt erst Blut bekommen, wie sie
selbst;
Als hätte er ihr Lachen und ihr Weinen,
Ihr
Jubeln, Seufzen, ja ihr Athemholen,
Nur nachgeäfft und nie
geahnt, warum
Die Menschenbrust sich ewig hebt und senkt.
Da
brannt' er vor Verlangen, auch zu leben,
Und sog Dein süßes
Bild mit Augen ein,
Die, sonst gleichgültig alle Dinge
spiegelnd
Und wieder wechselnd, wie ein stilles Wasser,
Der
Wimper jetzt ihr Zucken kaum verzieh'n.
So glomm er, Deine
Schönheit in sich trinkend,
Allmählich vor Dir auf in
düst'rem Feuer,
Wie Deine weiße Hand, wenn Du sie
Abends
Vor eine Flamme hältst, Du aber fuhrst
Vor Deinem
rothen Widerschein zurück.
Rhodope
#28:
Nicht
weiter!
Gyges
#29: Oh,
nicht weiter! Weiß ich mehr?
Was er empfand, das kann ich
nachempfinden
Und ganz so voll und glühend, wie er
selbst.
Doch, wie er warb, und wie er Dich gewann,
Ist sein
Geheimnis; Einer nur kann's haben,
Und dieser Einzige ist er,
nicht ich.
Nun weißt Du denn, warum ich zitterte:
Ein
Wonneschauer war's, der mich ergriff,
Ein heil'ges Grausen, das
mich schüttelte,
Als ich so plötzlich vor Dir stand und
sah,
Daß Aphrodite eine Schwester hat;
So sag' mir jetzt,
wozu beriefst du mich!
Rhodope
#30:
Zum
Tode! –
Gyges #31: Wie?
Rhodope #32: Hast Du ihn nicht verdient?
Gyges
#33:
Wenn
Du ihn mir verhängst, so muß es sein!
Rhodope
#34:
In
dieser Stunde noch!
Gyges #35: Ich bin bereit!
Rhodope
#36:
Dich
packt kein Schauder, wie er jeden Menschen,
Wie er den Jüngling
doppelt packen muß?
Glaubst Du vielleicht, es sei nicht
bitt'rer Ernst,
Weil Dir ein Weib den blut'gen Spruch
verkündigt,
Und Du das Weib nur noch als Mutter kennst?
O
hoffe nicht, daß auch die Mildeste
Ihn ändern wird. Sie
kann den Mord vergeben,
Sie kann sogar für ihren Mörder
bitten,
Wenn er ihr so viel Odem übrig ließ.
Doch
eine Schande, die sie vor sich selbst
Vom Wirbel bis zum Zeh mit
Abscheu füllte,
Solch eine Schande wäscht das Blut nur
ab:
Je mehr sonst ganz nur Weib, nur scheues Weib,
Je mehr vom
Manne wird sie da verletzt!
Gyges
#37:
Entsetzlich!
Rhodope
#38: Kommt
der Schauder? Hör' mich aus!
Wenn Du nicht jetzt gerichtet
vor mir ständest,
Von blanken Schwertern vor der Thür
bewacht,
Und, willig oder nicht, das sich're Opfer
Der
Unterird'schen, die ich schon beschwor:
Ich öffnete, wenn
auch mit zager Hand,
Noch eh' die Sonne sinkt, mir selbst die
Adern
Und wüsche mich in meinem eig'nen Blut!
Denn alle
Götter steh'n schon abgewandt,
Wenn auch voll Mitleid da, die
goldnen Fäden
Zerreißen, die mich an die Sterne
knüpfen
Und aufrecht halten, mächtig zieht der
Staub,
Und zög're ich, so hüpft die neue Schwester,
Die
Kröte, mir vertraulich in's Gemach!
Gyges
#39:
O
Königin, ich könnte manches sagen,
Und vielen Sand mir
aus den Locken schütteln,
Der mir nur angeflogen ist im
Sturm!
Ich will es nicht. Nur Eines glaube mir:
Erst jetzt
erkenn' ich, was ich that, und doch
War's kaum gescheh'n, so hat's
mich schon gedrängt,
Es abzubüßen. Wenn Dein Gatte
mir
Den Weg zum Orcus nicht vertreten hätte,
Ich wäre
längst ein Schatten unter Schatten,
Und Du gesühnt, wenn
auch noch nicht versöhnt.
Rhodope
#40:
Mein
Gatte wehrte Dir's und wußte doch –
Gyges
#41:
Gleichviel!
Die selt'ne Regung, die ihn faßte,
Hat mich um das Verdienst
des freien Todes,
Dich aber um Dein Opfer nicht gebracht.
Leb'
wohl! – Und Deine
Schwerter bleiben rein!
Rhodope
#42:
Halt!
Nicht durch eig'ne Hand und nicht durch Mord,
Durch Deinen
höchsten Richter sollst Du fallen,
Gleich kommt der König
und bestimmt Dein Loos.
Gyges
#43:
Der
Sterbende, er sei auch, wer er sei,
Hat eine letzte Bitte frei. Du
wirst
Mir nicht mein armes Todtenrecht verkürzen,
Ich
weiß, Du kannst es nicht! So laß mich geh'n!
Erzähler #44:
Rhodope (macht eine abwehrende Bewegung).
Gyges
#45:
Ich
tat, was ich vermocgte. Komme nun,
Was kommen soll, ich trage
keine Schuld.
Erzähler #46:
Kandaules (tritt ein).
Rhodope (ihm entgegen).
Rhodope #47:
Ich irrte
nicht! Es war im Schlafgemach
Ein Mensch versteckt!
Gyges
#48: Ja,
König, was ich Dich
Nur ahnen ließ, weil mir der Muth
gebrach,
Es zu bekennen: es ist aufgedeckt,
Und todeswürdig
steh' ich vor Dir da!
Kandaules
#49:
Gyges!
Gyges
#50: Mit
diesen meinen beiden Augen
Verübt' ich einen Frevel, den die
Hände
Nicht überbieten, nicht erreichen würden,
Und
zückt' ich auch auf Dich und Sie den Dolch.
Rhodope
#51:
So
ist's!
Gyges
#52: Zwar
wußt' ich's nicht, das kann ich schwören,
Mir sind die
Frauen fremd, doch wie der Knabe
Nach einem wunderbaren Vogel
hascht
Und ihn erdrückt, weil er sein zartes Wesen
Nicht
kennt, indes er ihn nur streicheln will,
So hab' ich auch das
Kleinod dieser Welt
Zerstört und ahnte nicht, daß ich
es that.
Rhodope
#53:
Sein
Wort ist edel. Wehe ihm und mir,
Daß es nicht frommt!
Gyges
#54: Wenn
den kastal'schen Quell
Aus dem die Lieblinge der Götter
trinken,
Und der in einem Farbenspiel erglänzt,
Als wär'
er mit zerpflückten Regenbogen
Von Iris eig'nen Händen
überstreut;
Wenn diesen Quell, der dem Parnaß
entspringt,
Ein Steinwurf trübt, so fängt er an, zu
tosen
Und steigt in wilden Wirbeln himmelan.
Dann singt auf
Erden keine Nachtigall
Und keine Lerche mehr, und in der
Höhe
Verstummt sogar der Musen heil'ger Chor,
Und eher
kehrt die Harmonie nicht wieder,
Bis ein ergrimmter Strom den
frechen Schleud'rer
Hinunter knirscht in seinen dunklen Schooß:
So
ist's mit einer Frauenseele auch!
Kandaules
#55:
Gyges,
ich bin kein Schurke.
Gyges
#56: Herr,
Du bist
Rhodopens Gatte, bist ihr Schutz und Schirm
Und mußt
ihr Rächer sein.
Kandaules
#57: Ich
bin vor allem
Ein Mann, der für den Frevel, den er
selbst
Beging, nicht einen Andern sterben läßt.
Gyges
#58:
König,
was rettest Du?
Kandaules #59: Mich selbst!
Gyges
#60: Er
ras't,
Hör' nicht auf ihn!
Rhodope
#61: Mein
Herr und mein Gemahl,
Was sprachst Du da? Ich kann's Dir selbst
nicht glauben,
Wenn du's nicht wiederholst!
Kandaules
#62: Sprich
Du für mich!
Du sollst mich nicht entschuldigen, Du
sollst
Nur sagen, wie es kam.
Rhodope
#63: So
ist's? Ihr Götter,
Lacht über mich! – Ich habe
schon geklagt!
Kandaules
#64:
Sprich,
Gyges!
Erzähler #65:
(Ab.)
Gyges
#66: Königin,
oh, wenn Du wüßtest,
Wie er dich immer pries, und wie
ich stumpf
Auf alle seine Flammenworte hörte,
Weil jeder
Vogel, der dem Busch entrauschte
Und meinem Pfeil entging, indem
er sprach,
Mein Auge auf sich zog – wenn Du Dir sagtest,
Wie
sehr dies unaufmerksam-kind'sche Wesen,
Das er für einen
Ausdruck stillen Mißtrau'ns
Und halben Zweifels nahm,
obgleich es nur
Aus flücht'gem Sinn entsprang, ihn reizen
mußte –
Wenn Du uns Beide nur ein einzig Mal
Auf
einer uns'rer Streiferei'n im Walde
Gesehen hättest, ihn in
seiner Glut
Und mich in meiner Blödheit, unverständig
Nach
bunten Steinen an der Erde spähend,
Indeß er mir den
Sonnen-Aufgang zeigte:
Ich bin gewiß, Du blicktest wieder
mild!
Er glich dem Priester, der dieselbe Flamme,
Die ihn
durchlodert, zu des Gottes Ehre
Auch in der fremden Brust
entzünden möchte;
Wenn dieser,
leidenschaftlich-unvorsichtig,
Die heiligen Mysterien enthüllt,
Um
dumpfe Sinne rascher zu erwecken
Und falsche Götzen sich'rer
zu entthronen:
Fehlt er so schwer, daß man ihm nicht
verzeiht?
Erzähler #67:
Rhodope (macht mit der Hand
eine abwehrende Bewegung).
Rhodope #68:
Er hat sein Gattenrecht Dir abgetreten?
Gyges
#69:
Nenn'
es nicht so.
Rhodope
#70: Du
brauchtest nicht bei'm Wein
Nach seiner Hand zu greifen und
dabei
Den Ring ihm abzuzieh'n, wie ich's mir dachte,
Er gab ihn
Dir von selbst zurück, Du kamst
Vielleicht sogar mit ihm
zugleich?
Gyges
#71: Wie
kannst
Du's glauben, Königin?
Rhodope
#72: Du
bist ein Jüngling –
Du denkst so edel –
Gyges
#73: War
ich denn sein Knecht?
Und hat er je verlangt, daß ich es
sei?
Nein, Königin, entschuldige mich nicht,
Es bleibt bei
Deinem Spruch! Und halt ihn nicht
Für grausam, er ist mild.
Ich ging den Weg,
Den ich wohl nimmer hätte gehen
sollen,
Doch nahm ich gleich auch meinen Fluch dahin.
Ich wurde
reif zum Tode, denn ich sah,
Daß Alles, was das Leben bieten
kann,
Vergeben war, und wenn ich in der Nacht
Ihn nicht schon
fand und die entweihte Schwelle
Mit meinem rasch vergoßnen
Blut dir wusch,
So ist die Schuld nicht mein: ich warb um ihn.
Oh,
hätt' ich ihn ertrotzt, wie ich's versuchte,
Dann zitterte in
Deiner Seele jetzt
Nur noch ein Schauder vor dem Mörder
nach,
Der Dir das Athmen um so süßer machte,
Dein
Gatte aber würde, als Dein Retter,
Noch feuriger, wie je, von
Dir geküßt.
Rhodope
#74:
Und
Dinge kämen, die's uns fürchterlich
Enthüllen
würden, daß die Götter nicht
Des Menschenarms
bedürfen, sich zu rächen,
Wenn eine Schuld, die keine
Sühne findet,
Weil sie im Dunkeln blieb, die Welt
befleckt.
Doch, sie sind gnädig, dieser Frevel hat
Umsonst
in Finsternis sich eingewickelt,
Er leuchtet doch hindurch. Das
Wasser wird
Sich nicht in Feuer wandeln, wenn der Mund
Des
Durst'gen es berührt, das Feuer nicht
Erlöschen, wenn
der Hauch des Hungrigen
Es auf dem Heerde anbläs't, nein, o
nein,
Die Elemente brauchen's nicht zu künden,
Daß
die Natur vor Zorn im Tiefsten fiebert,
Weil sie verletzt in einem
Weibe ist:
Wir wissen, was geschah!
Gyges
#75: Wir
wissen auch,
Was noch geschehen muß! Vergib mir nur!
Erzähler #76:
(Er will gehen.)
Rhodope
#77:
Halt!
Das nicht mehr!
Gyges #78: Was kann ich And'res tun?
Rhodope:
Du
mußt ihn töten!
Gyges #79: Ha!
Rhodope
#80: Du
mußt! Und ich –
Ich muß mich Dir vermählen.
Gyges #81: Königin!
Rhodope
#82:
So
geh.
Gyges #83: Ihn töten!
Rhodope
#84: Wenn
Du zu mir sagst:
Jetzt bist Du
Witwe! so erwid're ich:
Jetzt bist Du mein Gemahl!
Gyges
#85: Du
hast geseh'n,
Wie er von hinnen ging. Er sprach für sich
Kein
einzig Wort, er überließ es mir,
Und ich, ich sollte –
– Nein!
Rhodope
#86: Du
mußt es thun,
Wie ich es fordern muß. Wir dürfen
Beide
Nicht fragen, ob's uns schwer wird oder leicht.
Gyges
#87:
Wenn
er kein Gatte war: er ist ein Freund,
Wie's keinen zweiten giebt!
Kann ich ihn tödten,
Weil er zu sehr mein Freund gewesen ist?
Rhodope
#88:
Du
wehrst Dich, doch es ist umsonst.
Gyges
#89: Was
soll
Mich zwingen, wenn Dein Reiz mich nicht bezwang?
Ich liebe
Dich, mir ist, als wäre ich
Mit einem Starrkrampf auf die
Welt gekommen,
Und dieser lös'te sich vor Deinem Blick!
Die
Sinne, welche, wie verschlaf'ne Wächter,
Bisher nicht sah'n,
noch hörten, wecken sich
In sel'gem Staunen gegenseitig
auf
Und klammern sich an Dich, rund um Dich her
Zerschmelzen
alle Formen, sonst so scharf
Und trotzig, daß sie fast das
Auge ritzten,
Wie Wolkenbilder vor dem Sonnenstral;
Und wie ein
Schwindelnder, der in den Abgrund
Zu stürzen fürchtet,
könnt' ich nach der Hand
Dir greifen, ja, an Deinen Hals mich
hängen,
Eh' mich das bodenlose Nichts verschlingt!
Doch
nicht mit einem Tropfen seines Blutes
Möcht' ich mir diesen
höchsten Platz erkaufen,
Denn selbst im Rausch vergäße
ich ihn nicht!
Rhodope
#90:
Du
kannst es mir versagen, das ist wahr!
Verlaß mich denn!
Gyges #91: Was sinnst Du, Königin?
Rhodope
#92:
Ein
Werk, das still beschlossen und noch stiller
Vollbracht wird. –
Geh!
Gyges #93: Versteh' ich Dich?
Rhodope #94: Vielleicht.
Gyges
#95:
Du
könntest?
Rhodope #96: Zweifle nicht! Ich kann und will.
Gyges
#97:
Nun,
bei den Göttern, welche droben thronen,
Und den Erinnyen, die
drunten horchen,
Das darf nicht sein, und nimmer wird's gescheh'n!
Rhodope
#98:
So
sagst Du Ja?
Gyges
#99: Du
weckst mich aus dem Schlummer,
Nicht wahr, wenn er in Träumen
mir erscheint,
Und trotz der Todeswunde immer lächelt,
Bis
mir das Haar sich sträubt.
Rhodope #100: Nicht mehr! Nicht mehr!
Gyges
#101:
Auch
drückst Du einen Kuß mir auf die Lippen,
Damit ich in
der Angst mich gleich besinne,
Warum ich es gethan – Du
wendest Dich,
Als ob's Dich schauderte bei dem Gedanken?
Das
schwör' mir erst!
Rhodope #102: Ich werde Dein Gemahl.
Gyges
#103:
Was
fragd ich auch! Ich siegte ja noch nicht.
Rhodope
#104:
Gilt's
hier denn einen Kampf?
Gyges
#105: Ja,
Königin,
Du denkst doch nicht von mir, daß ich ihn
morde?
Ich fordre ihn auf Leben oder Tod.
Rhodope
#106:
Und
wenn Du fällst?
Gyges
#107: So
fluche mir nicht nach,
Ich kann nicht anders.
Rhodope #108: Fall' ich nicht mit Dir?
Gyges
#109:
Doch
wenn ich wiederkehre?
Rhodope
#110: Am
Altar
Wirst du mich finden, ebenso bereit,
In Deine Hand die
meinige zu legen,
Als nach dem Dolch zu greifen und das Band
Zu
lösen, das mich an den Sieger knüpft,
Wenn er es ist!
Gyges
#111: Noch
eh' die Sonne sinkt,
Entscheidet sich's! So leb' denn wohl.
Rhodope
#112: Leb'
wohl! –
Und wenn's Dich freuen kann, vernimm noch Eins:
Du
hättest mich der Heimat nicht entführt,
Um so an mir zu
thun!
Gyges
#113: Meinst
du, Rhodope?
Das heißt: ich wäre eifersüchtiger
Und
neidischer gewesen, hätte mehr
Gefürchtet, weil ich
wen'ger bin, als er,
Und doch beglückt es mich, daß Du
dieß meinst,
Und ist genug für mich, mehr als genug!
Erzähler #114:
(Ab.)
Rhodope
#115:
Nun
Brautgewand und Totenhemd herbei!
Erzähler #116:
Lesbia (stürzt herein und
wirft sich Rhodopen zu Füßen).
Lesbia #117:
Du Gnädige! – Vergib! – Ich danke Dir!
Erzähler #118:
Rhodope (sie aufhebend).
Rhodope #119:
Du wirst
mir wohl nicht danken, armes Kind!
Und doch! Zuletzt! Ja, Lesbia,
zuletzt!
Erzähler #120:
Ende vierter Akt
Erzähler #1:
Gyges und sein Ring - eine Tragödie in fünf Akten von Friedrich Hebbel.
Fünfter Akt
Freier Platz.
Der König tritt auf. Ihm folgt Thoas.
Kandaules
#2:
Du
schleichst mir nach auf Schritt und Tritt. Was willst Du?
Fehlt
Dir der Muth, mich anzureden, Alter,
Weil ich ein wenig barsch war
gegen Dich?
Sprich! Setze Deine Rede fort! Ich will
Geduldig
sein und hören, brauchtest Du
Auch so viel Zeit, daß
eine grüne Traube
Sich purpurn färbt, bis Du zu Ende
bist.
Thoas
#3:
Herr,
hab' ich jemals einen Mann verklagt?
Kandaules
#4:
Nein,
Thoas.
Thoas #5: Oder einen Mann verdächtigt?
Kandaules
#6:
Gewiß
nicht.
Thoas
#7: Las
ich heiße Worte auf,
Wie sie im Zorn wohl auf die Erde
fallen,
Und warf sie Dir in's Ohr und blies sie an?
Kandaules
#8:
Nie!
Thoas
#9: Nun,
so werd' ich doch mit siebzig Jahren
Nicht thun, was ich mit
zwanzig nicht gethan,
Denn über funfzig dien' ich deinem
Hause.
Kandaules
#10:
Ich
weiß es, treuer Knecht.
Thoas
#11: Die
Erde zeugt
Ja immer fort, ob man die Könige
Ermordet oder
krönt, sie läßt die Bäume
Nicht ausgeh'n und
die Beeren nicht vertrocknen,
Auch hält sie ihre Quellen
nicht zurück,
Wenn man ihr einmal Blut zu trinken giebt.
Kandaules
#12:
Das
glaub' ich auch!
Thoas
#13: Nicht
wahr? Es bliebe Alles,
Wie jetzt, ich meine, was mich selbst
betrifft,
Denn das ist unser Sclaven-Glück, daß uns
Ein
rother Mond am Himmel wenig kümmert,
Und daß wir
ruhiger, wie gier'ge Hunde,
Die einen Bissen zu erschnappen
hoffen,
Dem Opfer zuseh'n und nicht ängstlich fragen,
Ob's
Gutes oder Böses prophezeit.
Kandaules
#14:
Was
willst Du sagen, Greis?
Thoas
#15: Dein
Vater hatte
Mich immer um sich, einerlei, ob er
Zum Schmausen
ging, ob er zu Felde zog,
Ich durfte ihm nicht fehlen, heute
reicht' ich
Den Becher ihm und morgen Schild und Speer.
Auch
ordnete ich ihm den Scheiterhaufen
Und sammelte mit meinen steifen
Fingern
Die weiße Asche in den braunen Krug.
Er hatt' es
so bestellt. Warum denn wohl?
Kandaules
#16:
Die
Traube wird schon roth.
Thoas
#17: Du
bist ihm ähnlich,
Vielleicht – ich sah Dich nie das
Schwert noch zieh'n,
Er zog es oft und gern, zuweilen auch
Ganz
ohne Grund, ich geb' es zu, ja wohl,
Und doch war's gut, –
vielleicht gar völlig gleich.
D'rum wünscht' ich Dir
sein Los.
Kandaules #18: Ist das nicht mein?
Thoas
#19:
Wer
weiß! Das Ende rechn' ich mit dazu.
Vergib mir, Herr! Ich
bin kein hurt'ger Kopf,
Begreife schwer, hab' niemals was
erdacht,
Und wer mich dumm nennt, schimpft mich darum nicht.
Doch
wack're Männer kamen schon zu mir
Und fragten mich um Rath,
und als ich stutzte,
Da sagten sie: der schlichtste alte Mann,
Der
siebzig Jahre zählt und seine Sinne
Behielt, versteht von
manchen Dingen mehr,
Als selbst der Klügste, der noch
Jüngling ist.
Nun, meine Sinne, denk ich, hab' ich noch:
So
hör' auf mich.
Kandaules #20: Ich thu' es ja.
Thoas
#21: Und
quäle
Mich nicht um Gründe, glaube nicht, daß
ich
Gleich Unrecht habe, wenn ich auch verstumme,
Weil ein
Warum von so und so viel Drachmen
Mir fehlt, wenn Du mein Wort zu
wägen denkst.
Du kannst ja auch die Vögel, die nicht
fliegen,
Wie Dir's gefällt, wenn sie Dein Seher fragt,
Durch
einen einz'gen Schuß von Deinem Bogen
Zerstreu'n, und
mancher hat's im Zorn gethan.
Doch kommt das Unglück darum
weniger,
Das sie verkündeten? So sprich denn nicht:
Was
willst du? Er ist tapfer, brav und treu!
Ich weiß es selbst
und will's sogar beschwören,
Allein ich warne Dich nur um so
mehr:
Nimm Dich in Acht vor Gyges!
Erzähler #22:
Kandaules (lacht).
Thoas
#23: Dacht'
ich's doch!
Ich sag's Dir noch einmal: nimm Dich in Acht!
Versteh
mich aber recht. Ich sage auch:
Er wird Dir nimmer nach der Krone
greifen,
Er wird Dich mit dem letzten Tropfen Bluts
Vertheidigen,
und dennoch ist er Dir
Gefährlicher, als Alle, die sich
gestern
Mit Blicken oder Worten gegen Dich
Verschworen haben!
Ei, die tun Dir Nichts,
Wenn er nur nicht mehr da ist! Darum
schaffe
Ihn fort, sobald Du kannst. Denn, wenn er bleibt
Und
mit den Kränzen, die er sich errang,
Noch länger so
herumgeht unter ihnen,
Kann viel gescheh'n.
Kandaules #24: Du meinst?
Thoas
#25: Ich
seh' es ja!
Das flüstert und vergleicht! Das zuckt die
Achseln,
Das ballt die Faust und nickt sich heimlich zu!
Du
hast sie gar zu schwer gekränkt. Und wird
Der Grieche, wenn
er Morgens bei'm Erwachen
Auf einmal über Deine Krone
stolpert,
Weil man sie ihm des Nachts zu Füßen
legte,
Sie noch verschmäh'n? Da wär' er ja ein Thor.
Es
ist genug, daß er Dich nicht beraubt,
Beerben darf er Dich,
und wird er Dich.
Ei, seine Zeichen steh'n, Du glaubst nicht,
wie!
Sonst schimpften sie ihn einen Citherspieler
Und meinten,
wie denn ich es selber meine,
Daß nur die Vögel süße
Kehlen hätten,
Die arg verkürzt um ihre Klauen
sind:
Jetzt ist er ihnen, weil er singen kann,
Wenn noch nicht
Phöbus selbst, so doch sein Sohn!
Kandaules
#26:
Das
wundert Dich? Er hat sie ja besiegt!
Wie könnte denn ein
Mensch ihr Sieger sein.
Thoas
#27:
Gleichviel!
Doch er ist wirklich brav und treu,
D'rum folge mir. Dann geht's
vielleicht noch gut,
Wenn nicht die Götter eine Strafe
senden,
Und über's Jahr versöhnst Du die und uns!
Erzähler #27:
Gyges (tritt auf).
Thoas
#29:
Er
kommt. Sprach ich umsonst? Herr, lächle nicht!
Selbst an der
Mauer schießt Salpeter an,
Warum denn nicht das Salz der
Zeit an mir?
Erzähler #30:
(Er zieht sich in den Hintergrund zurück.)
Kandaules
#31:
Du
hast mich mehr getroffen, als Du denkst! –
Nun, Gyges?
Gyges #32: Herr, ich habe Dich gesucht.
Kandaules
#33:
Ich
dich nicht weniger. So sag' mir an:
Was bringst du mir? – Du
kehrst dich schweigend ab?
Was es auch sei: ich bin auf viel
gefaßt!
Gyges
#34:
Oh,
hättest Du mein Opfer angenommen!
Kandaules
#35:
Ich
werde nie bereu'n, daß ich's nicht that.
Doch, wär' es
auch gescheh'n, was hätt's gefrommt?
Ihr Argwohn hatte
unauslöschlich schon
Des Nachts an Deinem Seufzer sich
entzündet,
Doch had're darum nicht mit Dir, wer wäre
Ein
Mensch und hätte nicht geseufzt, wie Du!
Gyges
#36:
Es
war kein guter Tag, an dem der König
Von Lydien den Griechen
Gyges traf.
Kandaules
#37:
Ich
fluch' ihm nicht.
Gyges
#38: Du
hättest Dich des Tigers
Wohl selbst erwehrt, der auf Dich
lauerte,
Und ich, mit meinem überflüss'gen
Pfeil,
Beraubte, statt vom Tode Dich zu retten,
Dich nur des
Meisterschusses.
Kandaules
#39: Das
ist wahr,
Ich hatt' ihn wohl bemerkt und war bereit.
Doch, als
ich sah, wie Dir die Augen blitzten,
Die Wangen glühten, und
die Brust sich hob,
Da unterdrückte ich ein stilles
Lächeln
Und dankte Dir.
Gyges
#40: So
edel war er stets!
Auch da, wo ich's nicht ahnte! Kann ich denn?
Kandaules
#41:
Ich
sah es auf den ersten Blick ja auch,
Daß Du in einer
größeren Gefahr
Die That noch kühner wiederholen
würdest;
Wenn die nicht kam, so war's nicht Deine Schuld!
Gyges
#42:
Herr,
sprich nicht mehr. Es ist so, wie Du sagst,
Ich hätte an ein
Haar von Deinem Haupte
Mein Blut gesetzt, und dennoch muß
ich jetzt,
So will's der Fluch, Dein Leben fordern –
Kandaules
#43:
Mein
Leben!
Gyges
#44: Ja,
wenn sie nicht sterben soll!
Die Sonne neigt sich schon zum
Untergang,
Und sieht Dein Auge noch den Abendstern,
So sieht
das ihrige ihn nimmermehr.
Kandaules
#45:
Sie
will sich tödten, wenn Du mich nicht tödtest?
Gyges
#46:
Sie
will es! Ständ' ich sonst wohl so vor Dir?
Kandaules
#47:
Kein
and'res Opfer kann ihr mehr genügen?
Gyges
#48:
Ich
bot das höchste, doch es war umsonst.
Kandaules
#49:
Da
wird sie mir den Abschied auch versagen!
Gyges
#50:
Ich
fürchte, sie entflieht vor Dir in's Grab!
Kandaules
#51:
Dann
nimm mein Leben hin! – Du fährst zurück?
Gyges
#52:
So
willig giebst Du's her?
Kandaules
#53: Wer
frevelte,
Muß Buße thun, und wer nicht lächelnd
opfert,
Der opfert nicht! – Kennst Du mich denn so
schlecht
Und hältst mich so gering, daß Du
darob
Erstaunen, ja erschrecken kannst? Ich werde
Doch sie
nicht zwingen, mit den Rosenfingern,
Die noch zu zart für's
Blumenpflücken sind,
Nach einem Dolch zu greifen und zu
prüfen,
Ob sie das Herz zu finden weiß?
Gyges
#54: Du
schlägst
Sogar das schirmende Gewand zurück
Und
beutst mir selbst die Brust?
Kandaules
#55: Ich
zeige dir
Den nächsten Weg zum Ziel und eb'ne ihn,
Damit Du,
wenn Du wieder vor sie trittst,
Doch irgend etwas an mir loben
kannst.
Hier rauscht der Quell des Lebens, den Du suchst:
Den
Schlüssel hast Du selbst. So sperre auf!
Gyges
#56:
Nicht
um die Welt!
Kandaules #57: Um sie, mein Freund, um sie!
Erzähler #58:
Gyges (macht eine abwehrende Bewegung).
Kandaules
#59:
Doch,
ich besinne mich, Du wolltest heut'
Mit eig'ner Hand Dein junges
Blut vergießen!
Den Muth erschwing' ich auch wohl noch,
d'rum geh
Und bringe ihr mein letztes Lebewohl,
Es ist so gut,
als läge ich schon da.
Gyges
#60:
Nein!
Nein! Ich kam, zu kämpfen!
Kandaules
#61: Ei
wie stolz!
Du kannst im Kampf mit mir nicht unterliegen,
Nicht
wahr?
Gyges #62: Du kennst mich besser!
Kandaules
#63: Nun,
auch das!
Selbst, wenn ich siegen sollte, bleibt mir noch
Das
And're übrig! – Ist das nicht der Duft
Der Aloe?
Jawohl, schon führt der Wind
Ihn uns vom Garten zu. Die
öffnet sich,
Nur wenn die Nacht sich naht. Da wird es Zeit.
Gyges
#64:
Oh,
dieser Ring!
Kandaules
#65: Du
meinst, er wäre besser
In seiner Gruft geblieben! Das ist
wahr!
Rhodopens Ahnung hat sie nicht betrogen,
Und Dich Dein
Schauder nicht umsonst gewarnt.
Denn nicht zum Spiel und nicht zu
eitlen Possen
Ist er geschmiedet worden, und es hängt
Vielleicht
an ihm das ganze Weltgeschick.
Mir ist, als dürft' ich in die
tiefste Ferne
Der Zeit hinunter schau'n, ich seh' den Kampf
Der
jungen Götter mit den greisen alten:
Zeus, oft zurück
geworfen, klimmt empor
Zum gold'nen Stuhl des Vaters, in der
Hand
Die grause Sichel, und von hinten schleicht
Sich ein Titan
heran mit schweren Ketten.
Warum erblickt ihn Kronos nicht? Er
wird
Gefesselt, wird verstümmelt, wird gestürzt.
Trägt
der den Ring? – Gyges, er trug den Ring,
Und Gäa selbst
hat ihm den Ring gereicht!
Gyges
#66:
So
sei der Mensch verflucht, der Dir ihn brachte.
Kandaules
#67:
Warum?
Du thatest Recht, und wäre ich
Dir gleich, so hätte er
mich nicht verlockt,
Ich hätt' ihn still der Nacht
zurückgegeben,
Und Alles würde stehen, wie zuvor.
D'rum
dinge mir des Werkzeugs wegen Nichts
Vom Frevel ab, die ganze
Schuld ist mein!
Gyges
#68:
Doch,
welche Schuld!
Kandaules
#69: Das
Wägen ist an ihr! –
Auch fühl' ich's wohl, ich
habe schwer gefehlt,
Und was mich trifft, das trifft mich nur mit
Recht.
Das schlichte Wort des alt-ehrwürd'gen Dieners
Hat
mich belehrt. Man soll nicht immer fragen:
Was ist ein Ding?
Zuweilen auch: was gilt's?
Ich weiß gewiß, die Zeit
wird einmal kommen,
Wo Alles denkt, wie ich; was steckt denn
auch
In Schleiern, Kronen oder rost'gen Schwertern,
Das ewig
wäre? Doch die müde Welt
Ist über diesen Dingen
eingeschlafen,
Die sie in ihrem letzten Kampf errang,
Und hält
sie fest. Wer sie ihr nehmen will,
Der weckt sie auf. D'rum prüf'
er sich vorher,
Ob er auch stark genug ist, sie zu binden,
Wenn
sie, halb wachgerüttelt, um sich schlägt,
Und reich
genug, ihr Höheres zu bieten,
Wenn sie den Tand unwillig
fahren läßt.
Heracles war der Mann, ich bin es
nicht;
Zu stolz, um ihn in Demuth zu beerben,
Und viel zu
schwach, um ihm es gleich zu thun,
Hab' ich den Grund gelockert,
der mich trug,
Und dieser knirscht nun rächend mich hinab.
Gyges
#70:
Nein!
Nein!
Kandaules
#71: So
ist's. Auch darf's nicht anders sein!
Die Welt braucht ihren
Schlaf, wie Du und ich
Den uns'rigen, sie wächs't, wie wir,
und stärkt sich,
Wenn sie dem Tod verfallen scheint und
Thoren
Zum Spotte reizt. Ei, wenn der Mensch da liegt,
Die
sonst so fleiß'gen Arme schlaff und laß,
Das Auge fest
versiegelt und den Mund
Verschlossen, mit den zugekrampften
Lippen
Vielleicht ein welkes Rosenblatt noch haltend,
Als wär's
der größte Schatz: das ist wohl auch
Ein wunderliches
Bild für den, der wacht
Und zusieht. Doch, wenn er nun kommen
wollte,
Weil er, auf einem fremden Stern geboren,
Nichts von
dem menschlichen Bedürfnis wüßte,
Und riefe: hier
sind Früchte, hier ist Wein,
Steh auf und iß und trink!
Was thätst Du wohl?
Nicht wahr, wenn Du nicht unbewußt
ihn würgtest,
Weil Du ihn packtest und zusammen drücktest,
So
sprächst du: dieß ist mehr, als Speis und Trank!
Und
schliefest ruhig fort bis an den Morgen,
Der nicht den Einen oder
auch den Andern,
Nein, der sie Alle neu in's Dasein ruft!
Solch
ein vorwitz'ger Störer war ich selbst,
Nun bin ich denn in
des Briareus Händen,
Und er zerreibt das stechende
Insect.
D'rum, Gyges, wie Dich auch die Lebenswoge
Noch heben
mag, sie thut es ganz gewiß
Und höher, als Du denkst:
vertraue ihr
Und schaud're selbst vor Kronen nicht zurück,
Nur
rühre nimmer an den Schlaf der Welt!
Und nun –
Gyges #72: Die Sonne sinkt! Es muß so sein.
Kandaules
#73:
Thoas!
Erzähler #74:
(Er nimmt sich die Krone ab.)
Thoas #75: Was sinnst Du, Herr?
Kandaules
#76: Du
wolltest mich
Ja fechten seh'n, die Freude mach' ich Dir,
Doch
dafür hebst Du diese Krone auf
Und reichst sie dem, der
übrigbleibt von uns!
Erzähler #77:
(Zu Gyges.)
Kandaules #78:
Wenn Du
das bist, so gönn ich's Dir, und gern
Wird man auf Deinem
Haupt sie seh'n! – Ei was,
Du wolltest sie nicht nehmen?
Schäme Dich!
Da käm' sie nur an einen schlechtern Mann!
Gyges
#79:
Herr,
schwör mir, daß Du redlich kämpfen willst.
Kandaules
#80:
Ich
muß ihr zeigen, daß ich so viel Schönheit
Nicht
leicht verliere. Darum schwör ich's Dir.
Und Du?
Gyges
#81: Sie
lebt und stirbt mit mir! Ich muß!
Und wenn ich auch bei
jedem Streiche denke:
Viel lieber einen Kuß! so werde
ich
Darum doch keinen mäßigen.
Kandaules
#82: So
gieb
Mir noch einmal die Hand! – Nun sei für mich
Ein
Tiger, ich für Dich ein Leu und dieß
Der wilde Wald, in
dem wir oft gejagt.
Erzähler #83:
(Sie ziehen.)
Gyges
#84:
Noch
eins! Aus Schaam hielt ich's zurück. Sie will
Sich mir
vermählen, wenn Du unterliegst.
Kandaules
#85:
Ha!
Nun versteh' ich sie!
Gyges #86: So wehre dich!
Erzähler #87:
(Gefecht, während dessen sie sich links verlieren.)
Thoas
#88:
Er
fällt! – Der letzte Heraclide fiel!
Erzähler #89:
(Ab, ihnen nach.)
Der Tempel der Hestia.
Man erblickt in der Mitte die Bildsäule der Göttin. Rhodope kommt rechts in feierlichem Zug, mit ihr Lesbia, Hero und Karna. Es ist Abend. Fackeln.
Rhodope
#90:
Karna,
der Scheiterhaufen wird errichtet?
Karna
#91:
Er
ist es schon!
Erzähler #92:
Rhodope (schreitet in den Tempel und kniet vor der Bildsäule der Göttin nieder).
Hero
#93: Sie
spricht vom Scheiterhaufen,
Anstatt vom Brautgemach?
Lesbia
#94: Das
wundert Dich?
Es muß hier erst doch einen Todten
geben,
Bevor es eine Braut hier geben kann.
Hero
#95:
Ich
zitt're, Lesbia. Sie fragte mich,
Als ich sie schmückte, ob
in unserm Garten
Wohl gift'ge Beeren wüchsen –
Lesbia #96: Wie?
Hero
#97: Und
ob
Ich ihr davon nicht ein'ge bringen könnte;
Für
jede schenke sie mir eine Perle,
Und wenn es hundert wären,
aber schnell
Müßt' es gescheh'n!
Lesbia #98: Und Du?
Hero
#99: Ich
sagte Nein!
Da lächelte sie zwar und sprach: das konnt'
ich
Mir denken, morgen zeige ich sie Dir,
Doch kam's mir
seltsam vor.
Lesbia #100: Das ist es auch!
Hero
#101:
Nun
schickte sie mich fort, ich aber lauschte
Und sah, daß sie
mit einem spitzen Dolch,
Wie zum Versuch, ich kann's nicht anders
nennen,
Den Arm sich ritzte.
Lesbia #102: Hero!
Hero
#103: Ja,
es kam
Auch rothes Blut.
Lesbia #104: Entsetzlich!
Hero
#105: Freilich
ehrt
Sie neben unsern Göttern auch noch fremde,
Die wir
nicht kennen, und so ist's vielleicht
Ein dunkler Brauch!
Lesbia
#106: Nein,
nein! Wo tönt die Flöte
Und wo das Rohr? Wer singt den
Hymenäus?
Wo sind die Tänzerchöre? Ich war
blind!
Sie zog hinaus, um nicht mehr heimzukehren!
Oh, Königin,
ich bitt' Dir ab! – Wird denn
Ein Mahl gerüstet?
Hero #107: Nein! Daß ich nicht weiß!
Lesbia
#108:
So
sei der Trotz verflucht, der mich bewog,
Mich eben heut' so fern
von ihr zu halten,
Nun – Göttin, sie ist Dein zu dieser
Stunde,
So wende Du ihr Herz! Ich kann's nicht mehr.
Hero
#109:
Ja,
reine, keusche, heilige, das thu! –
Und ist es nicht auch
seltsam, daß sie sich,
Anstatt der ewig heitern
Aphrodite,
Die strenge Hestia, vor deren Blicken
Der grünste
Kranz verdorrt, zur Zeugin wählt?
Lesbia
#110:
Ach,
Alles deutet auf's Entsetzlichste.
Erzähler #111:
Gyges (tritt auf).
Hero
#112:
Gyges!
Lesbia #113: Oh, nimm ihn hin! Nur thu es nicht,
Gyges
#114:
Mir
ist, als hätt' ich selbst das Blut verloren,
Das ihm
entströmte! – Ich bin todtenkalt.
Hero
#115:
Wie
bleich er aussieht!
Gyges
#116: Da
ist der Altar –
An einem andern hab' ich sie gesucht –
Da
stehen ihre Mädchen – da ist sie –
Was nun?
Erzähler #117:
Thoas (tritt auf).
Thoas #118:
Ich bringe Dir die Krone dar!
Gyges
#119:
Den
Lydiern gehört sie und nicht mir.
Thoas
#120:
Den
Lydiern hab' ich sie erst gebracht,
Und als ihr Bote steh' ich
jetzt vor Dir!
Erzähler #121:
Volk (von draußen)
Volk #122:
Heil, Gyges, Heil!
Erzähler #123:
Rhodope (erhebt sich und wendet sich).
Volk (hereindringend).
Volk #124:
Dem König Gyges Heil!
Thoas
#125:
Doch
sei nicht stolz auf diesen Ruf, die Nachbarn
Sind in das Land
gefallen, nun sollst Du
Sie führen!
Gyges #126: Wie?
Thoas
#127: Es
kam, wie ich gedacht,
Er war zu mild, es fürchtete ihn
Keiner,
Jetzt sind sie da!
Erzähler #128:
Gyges (setzt die Krone auf).
Gyges #129: Ich zahle seine Schuld.
Erzähler #130:
Rhodope (die sich dem Gyges
langsam genähert hat).
Rhodope #131:
Erst Deine eig'ne, Gyges!
Gyges
#132: Königin,
Sei
Du der Preis, der mir entgegen winkt,
Wenn ich die Feinde rings
zerschmettert habe –
Rhodope
#133:
Nein,
nein! Von mir erlangst Du keine Frist! –
Wir können
nicht vor meinen Vater treten,
So tritt mit mir vor Hestias
Altar
Und reiche mir vor ihrem Angesichte
Die Hand zum ew'gen
Bunde, wie ich Dir!
Gyges
#134:
Wenn
Du gesehen hättest, wie er schied,
So würdest Du den
Schauder heilig halten,
Der mir verbeut, auch nur Dein Kleid zu
streifen,
Bevor ich das für ihn gethan! Wem bot
Die reiche
Welt so viel, wie ihm, und doch
Ging er hinaus, wie Andere hinein!
Rhodope
#135:
Wenn
er so edel in das düst're Reich
Hinunter stieg, wo keiner
sich auf's Neue
Mit Schuld befleckt, so werde ich ihm gern,
Und
wär's auch auf der Schwelle schon, begegnen,
Ja, ihm mit
eig'ner Hand vom Lethe schöpfen
Und selbst verzichten auf den
sel'gen Trunk.
Dich aber mahn' ich: ende jetzt!
Gyges
#136: Es
sei! –
Doch dieß gelob' ich Dir, Du theurer
Schatten,
Ich zieh' hinaus, so wie's geschehen ist!
Rhodope
#137:
Auch
ich gelobte Etwas!
Gyges
#138: Königin,
Wer
einen solchen Kelch voll Seligkeit
Bei Seite stellt, wie ich, und
wär's auch nur
Für eine Stunde, der verdient sich ihn.
Rhodope
#139:
Still,
still, Du bist an einem heil'gen Ort.
Erzähler #140:
(Sie schreiten zum Altar.)
Rhodope
#141:
O
Hestia, du Hüterin der Flamme,
Die das verzehrt, was sie
nicht läutern kann:
Ich dank' es diesem Jüngling, daß
ich wieder
Vor Deinem Angesicht erscheinen darf,
Und, wie das
Volk zum König, so erhebe
Ich ihn, sei Du mir Zeugin, zum
Gemahl.
Erzähler #142:
(Sie reicht Gyges die Hand.)
Rhodope #143:
Als
Morgengabe sieh die Krone an,
Die schon gebietend Dir vom Haupte
funkelt,
Mir aber gieb den Todtenring zum Pfand.
Gyges
#144:
Den
trägt der König noch an seinem Finger.
Rhodope
#145:
Dann
hat er schon den Platz, der ihm gebührt.
Erzähler #146:
(Sie läßt Gyges' Hand los.)
Rhodope #147:
Nun tritt
zurück, und halte Dein Gelübde,
Wie ich das meinige! Ich
bin entsühnt,
Denn Keiner sah mich mehr, als dem es
ziemte,
Jetzt aber scheide ich mich
Erzähler #148:
(Sie durchsticht sich.)
Rhodope #149: so von Dir!
Erzähler #150:
Ende fünfter Akt
Ende von Gyges und sein Ring - eine Tragödie in fünf Akten von Friedrich Hebbel.